Im Westend haben über 43 Prozent der Bewohner ausländische Wurzeln. Wir waren dort unterwegs und haben nachgefragt, was die Menschen unter Integration verstehen.
Politiker reden sehr häufig von Integration. Das ist ein Thema, das eigentlich alle modernen Gesellschaften, alle Menschen betrifft. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir darüber reden. Doch das Wort selbst klingt schwer und kompliziert. Genauso schwer ist es zu sagen, was Integration eigentlich bedeutet. Denn es gibt viele verschiedene Meinung darüber. Die offizielle Definition aus dem Lexikon lautet: „Integration heißt, dass eine Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit verbunden werden“. Das bedeutet, dass viele verschiedene Menschen zu einer großen Gruppe zusammenwachsen. Integration sagt nicht, dass jeder gleich sein muss, sondern dass jeder in der Gruppe seinen Platz findet. Dass das nicht immer so einfach ist, liegt auf der Hand. Schließlich haben wir alle unterschiedliche Wurzeln, Religionen, Werte und Traditionen. Das zeigen auch die Antworten der Westend-Bewohner – das Wort Integration fiel dabei nur selten, einige konnten gar nichts damit anfangen.
„Integration heißt für mich, dass ich nicht mehr nach meiner Herkunft gefragt werde.“
Abdulbaki Yesilbas, 44, selbstständig, türkische Wurzeln: „Ich lebe seit 30 Jahren hier in Deutschland. Am Anfang gab es viele Probleme. Besonders die älteren Generationen hatten Schwierigkeiten miteinander. Doch jetzt ist das anders. Ich werde nur noch selten danach gefragt, wo ich herkomme. Ich habe viele deutsche Freunde. Manchmal spreche ich sogar mit meinen türkischen Freunden Deutsch. Ich habe vier Töchter, zwei haben studiert, die anderen gehen noch zur Schule. Manche ältere Türken haben immer noch die Vorstellung im Kopf, dass Frauen zuhause bleiben sollen. Doch die jüngeren, die hier geboren sind, sehen das anders. Auch in der Türkei ändert sich das. Mittlerweile ist es zum Beispiel völlig normal, dass Frauen den Führerschein machen, sowohl hier als auch in der Türkei. Das war früher nicht so.“
„Integration heißt für mich, mich nicht mehr hilflos zu fühlen.“
Maria Yulianova, 23 Jahre alt, mit Sohn Biser (5), Hausfrau, bulgarische Wurzeln (übersetzt von Aynur Özdemir): „Ich spreche kein Deutsch. Für mich heißt Integration, dass ich mich nicht mehr hilflos fühlen muss. Deshalb möchte ich so schnell wie möglich einen Deutschkurs machen. Ich träume davon, alleine zumArzt gehen zu können. Nicht mehr weggeschickt zu werden, wenn ich eine Arbeit suche. Und wenn ich die Sprache besser kann, möchte ich zur Schule gehen. Vielleicht eine Lehre als Köchin oder Friseurin machen. Im Westend bleiben wir Bulgaren unter uns. Wir fühlen uns wohl, wenn wir zusammen sind. Doch ich weiß, dass das schwierig ist. Wenn ich besser Deutsch kann, will ich auch mit Deutschen sprechen. Im Eingliederungskurs lerne ich, wie man deutsche Weihnachtsplätzchen backt. Das hilft mir, mich hier heimischer zu fühlen.“
„Integration heißt für mich, Stühle zu rücken.“
Titus Grab, 53, Künstler und Initiator Kunst-Koffer, deutsche Wurzeln: „Ich stelle mir einen großen Tisch vor, an dem schon einige Menschen zusammensitzen. Es kommt ein Neuer in die Runde. Damit er am großen Tisch Platz hat, muss jeder mit seinem Stuhl ein wenig rücken. Jeder muss sich bewegen. Herkunft spielt dabei keine Rolle. Mensch ist Mensch. Das bedeutet für mich Integration. Nur so kann es funktionieren, dass wir gemeinsam an einem Tisch essen können. Doch eines ist ganz klar: Menschen, die hier leben wollen, müssen die deutsche Sprache und Kultur verstehen lernen. Sonst geht das nicht. Genauso sollten auch wir uns für andere Kulturen öffnen.“
„Integration heißt für mich, die Kultur meiner neuen Heimat zu leben.“
„Ich kam vor sieben Jahren hierher und hatte das große Glück, dass ich schon Deutsch sprechen konnte. Doch die Kultur der Menschen kannte ich nicht, weshalb ich mich manchmal fremd fühlte. Das ist jetzt anders. Ich kenne Deutschland besser. Für mich heißt Integration deswegen, dass man nicht nur die Sprache kann, sondern auch die Kultur kennt, versteht und lebt. Durch mein abgeschlossenes Germanistik-Studium durfte ich jetzt auch etwas früher als üblich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Ich freue mich sehr darauf,Deutsche zu werden, weil ich hier meine neue Heimat gefunden habe. Auch wenn ich einen tiefen Schmerz empfinde beim Gedanken, meinen moldawischen Pass abzugeben. Ich gebe einen Teil meiner Identität ab und gewinne einen neuen hinzu.“ Mariana Sincu, 35, Deutschlehrerin und Erzieherin, moldawische Wurzeln.
„Integration heißt für mich, dass wir uns besser kennenlernen.“
Moussa Mbaye, 45, Musiker, senegalesische Wurzeln: „Ich fühle mich drinnen in dieser Gesellschaft, manche Menschen sehen mich aber eher draußen. Meine Nachbarn sagen mir nicht Hallo. Ich lebe seit 20 Jahren hier und habe immer noch Probleme mit dem Visum. Gerade suche ich eine Wohnung, aber keiner will mir eine Wohnung geben. Einige sind kalt zu mir. Sie nennen mich „verbrannterMann“. Ältere Menschen haben sogar Angst, obwohl ich Hallo sage. Ich wünsche mir, dass die Menschen zuerst mit mir reden und nicht sofort sagen: ‚Das ist der Schwarze.‘ Ich habe immer noch meinen senegalischen Pass und will auch irgendwann zurück, obwohl ich Deutschland liebe. Hier wohnen meine Kinder und Freunde.Gerade lerne ich an der Volkshochschule, Deutsch zu schreiben.“
Text: Elena Weidt
Fotos: Elena Weidt, Erdal Aslan
Gepostet in: //Allgemeines, //Westend
Tags: Baki Yesilbas, Elena Weidt, Integration, Maria Yulianova, Mariana Sincu, Migranten, Moussa Mbaye, Titus Grab, Westend