Hans Peter Schickel (77) lebt seit seiner Geburt im Westend. In seinem Blog erzählt er aus seinem Leben im Viertel. In dieser Folge geht es um die Spiele seiner Kindheit im Westend in den 40er Jahren. Teure Spielsachen waren damals selten. Stattdessen benutzten die Kinder viel Fantasie.

Anfang des 20. Jahrhunderts war der Sedanplatz noch ein Spielplatz, der in eine große Fläche in Richtung Weißenburgstraße und einen kleineren Teil im vorderen Bereich getrennt war. Spielgeräte gab es nicht, aber eine große Sandgrube. Diese Aufnahme entstand um 1900.
iPhone, iPad, Gameboy, ein Notebook zum Surfen im Internet, was steht Kindern heute zur Freizeitgestaltung alles zur Verfügung, vorausgesetzt, die Eltern oder Großeltern können oder wollen es sich leisten. So gesehen waren wir Kinder der 40er Jahre arm dran, denn all diese elektronischen Zerstreuungen waren noch nicht erfunden. Aber waren wir wirklich arm dran? Wir wussten es nicht besser, und unser Spielbedürfnis war – wenn gerade kein Fliegeralarm war – ebenso ausgeprägt wie das heutiger Kinder.
Spielorte waren die Straße und der Hof – auch der Sedanplatz, der als zweigeteilter Spielplatz gestaltet war – eine große Fläche in Richtung Weißenburgstraße, ein kleinerer Teil im vorderen Bereich. Eine Fußgängerpassage für den Durchgang zwischen Westend- und Wellritzstraße bildete die Trennlinie. Der größere Teil war mit einer Sandgrube ausgestattet. Geschnittene Hainbuchenhecken, in denen es von Marienkäfern zu meiner Freude nur so wimmelte (wir nannten sie Herrgottstierchen), bildeten die Umrandung.
Spiele auch ohne Geld
Auf der Straße zu spielen war weniger gefährlich als heute, denn es gab kaum Autoverkehr. Die Gruppe der gleichaltrigen Nachbarskinder war für häufige gemeinsame Aktionen sehr wichtig. Wir spielten Hickel: Mit Kreide auf den Bürgersteig aufgezeichnete Zahlenfelder mussten durch einbeiniges Hüpfen bewältigt werden, was hickeln hieß (das gibt es vereinzelt noch heute). Wir spielten auch Verstecken. Einer der Abzählreime lautete anfänglich: „Eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein…“ Wer übrig blieb, musste suchen. Mit bunt gefärbten kleinen gebrannten Kugeln, Klicker genannt, und mit weitaus wertvolleren Glasmurmeln wurde eine Art Mini-Golf gespielt, indem sie mit Fingerschnick in vorbereitete Kuhlen geschnippt wurden. Die Geschicktesten konnten die Klicker einsacken.
Für „Stadt-Land-Fluss“ benötigte man ein Taschenmesser und eine unversiegelte Bodenfläche. Mit dem Messer wurden Territorien markiert, die danach mit Messerwurf „erobert“ wurden. Eine kleine Kinderwunderwelt bildete der Spielwarenladen Weber in der oberen Hellmundstraße gleich links um die Ecke von der Wellritzstraße aus gesehen. Seine Wunder aus Papierflitter und Pappmaschee waren für mich ohne jegliches Taschengeld unerschwinglich.
Larvenangeln als Hobby
Zudem fanden einige von uns zunehmend Gefallen an einem neuen Hobby: Einige Väter unterhielten Aquarien, in denen der Guppy dominierte. Der kleine Fisch aus der Karibik brauchte zwar warmes Wasser, war aber ansonsten pflegeleicht und robust. Die Männchen, lebhaft, schlank und bunt, die Weibchen farblich unscheinbar, waren sehr vermehrungsfreudig. Der Nachwuchs war aber in seiner Winzigkeit sofort von den Eltern als willkommener Happen begehrt, sobald er das Licht der Welt erblickt hatte.
Deshalb musste stets für hinreichenden Futternachschub gesorgt werden. Daran gab es – zumindest im Sommer – keinen Mangel. Die Nazi-Stadtverwaltung hatte verbreitet Löschwasserbecken eingerichtet und uns Kindern dabei auch den Sedanplatz als Spielfläche genommen.
Dort wurde ein großes, schwimmbadähnliches Bassin errichtet, ebenso auf dem Blücherplatz. Und überall in den Straßen standen kleinere Betonbecken, in denen es von Mückenlarven und Wasserflöhen nur so wimmelte. Die dadurch verursachte Stechmückenplage kann man sich gut vorstellen.
Ein Vorgeschmack aufs Glück
Sie hieß Marianne. Sie gehörte zu unserer Spielgruppe, und wir gingen miteinander (so nannte man das, wenn man ein wenig mehr als nur befreundet war). Hand in Hand, bewaffnet mit Kescher und Einmachglas, gingen wir zusammen auf Fischfutterfang. Offen gestanden: Die Schmetterlinge im Bauch, verursacht durch ihre Nähe, waren mir wichtiger als unser reichhaltiges Fangergebnis. Eine kleine Vorahnung auf das, was Glück sein kann…
Text: Hans Peter Schickel
Foto: Stadtarchiv
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