„Du sprichst aber gut deutsch für einen Türken!“ Scheinbar ein nett gemeintes Kompliment – aber eine Beleidigung für jemanden, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Es vermittelt das Gefühl, nicht als einzelner Mensch wahrgenommen zu werden, sondern auf seine Nationalität oder Herkunft reduziert zu werden: ein klassisches Beispiel für Alltagsrassismus.
Wir haben mit der Interkulturellen Trainerin Lina Siri von Third Culture Movement gesprochen. Das Thema Vorurteile beschäftigt die 34-Jährige seit ihrer Kindheit. Heute setzt sie sich auch beruflich damit auseinander.

Die Aussagen und Fragen auf den Schildern haben diese Westendler schon selbst hören müssen – sie könnten alle auf diese Sprüche verzichten, wie sie uns mitgeteilt haben.
Frau Siri, was ist Alltagsrassismus?
Es ist schwer einzuordnen, wo Alltagsrassismus anfängt und wo er aufhört. Oft steckt er in Fragen oder Sätzen, die gar nicht böse gemeint sind, aber unbewusst verurteilen. In diesen Fragen zeigt sich manchmal absichtliche Abwertung und manchmal nur Spaß und Interesse. Man sieht sich selbst als Norm und alles, was davon abweicht, wird als „komisch“ empfunden. Nur für die Gefragten kann es auf Dauer nervig oder anstrengend sein, ihre Identität ständig erklären zu müssen.
Haben Sie ein Beispiel?
Das, was zum Beispiel Migranten und Kinder von Migranten vereint, ist die ganz klassische Frage: „Woher kommst du?“ Ist die Antwort „Wiesbaden“, folgt oft die ungläubige Frage: „Aber wo kommst du wirklich her?“
Was ist der Unterschied zu offenem Rassismus?
Bei offenem Rassismus weiß man direkt, woran man ist. Der versteckte Rassismus ist vielleicht sogar etwas gefährlicher, weil er sich unbewusst in die Köpfe einschleicht und festsetzt. Er ist auch schwieriger zu beweisen, weshalb sich Betroffene oft hilflos fühlen.
Wie gehen Sie im Alltag damit um?
Es hängt von der Tagesform ab, wie ich auf Alltagsrassismus reagiere. Die Art, wie man fragt, ist aber auch entscheidend – ob es eine Annahme oder eine Frage ist. Ich versuche die gute Absicht dahinter zu sehen, denn nicht jeder Spruch ist rassistisch gemeint. Dennoch möchte ich aufklären und möchte das Bewusstsein dafür schärfen, wie verletzend diese Fragen sein können, weil sie den Menschen auf ein gewisses Bild beschränken: Du siehst chinesisch aus, also isst du Reis und Hunde.
Und wenn hinter einer Frage wirklich nur harmloses Interesse steckt?
Natürlich sollen die Leute alles fragen, was sie wissen möchten. Aber stellen Sie sich zum Beispiel vor, man würde Deutsche aufs Biertrinken reduzieren: „Wie? Du trinkst als Deutscher kein Bier?“ Hört man solche Aussagen sehr oft, kann man sich vorstellen, was es in einem auslösen kann. Ich möchte nicht als Inbegriff der Muster-Chinesin schlechthin wahrgenommen werden, was aber häufig passiert.
Wie vermeidet man das?
Eine Lösung ist es, den Menschen als Individuum, als einzelne Person, wahrzunehmen. Als jemanden, der eine kulturelle Herkunft mitbringt, die ihn aber nicht alleine ausmacht. Ein gewisses Schubladen-Denken ist normal. Das passiert jedem. Es ist aber auch wichtig, die Leute wieder aus den Schubladen herauszuholen.
ZUR PERSON
Lina Siri ist als Tochter chinesisch-stämmiger Eltern in Wiesbaden aufgewachsen und besuchte die Elly-Heuss-Schule. Die 34-Jährige hat Sinologie, Psychologie und Rechtswissenschaft studiert und arbeitet heute als zertifizierte Interkulturelle Trainerin. Gemeinsam mit ihrem Team engagiert sie sich mit dem Unternehmen „third culture movement“ für eine offene Haltung gegenüber „dem Anderen“ und baut Brücken zwischen den Kulturen. Weitere Infos auf der Homepage: www.third-culture.de
Interview und Fotos: Nadine Schwarz
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Tags: Alttagsrassismus, auchichbindeutschland, Deutscher, Fremdenfeindlichkeit, Hass, Interkulturelle Trainerin, Lina Siri, Muslima, Rassismus, Rassist, Schubladendenken, Schwarzer, Third Culture Movement, Türkin, Wellritzstraße, Westend, Wiesbaden