Keine zehn Tage waren vergangen, seit die Familie Petrov aus Bulgarien nach Deutschland ausgewandert war – und schon landete sie auf der Straße. „Ein Verwandter, der hier wohnt, hatte uns vor einem Jahr überzeugt nach Deutschland zu kommen. Wir haben alles verkauft und sind zu ihm gezogen“, erzählt Petar Petrov in der heutigen Wohnung im Westend. „Auch eine Arbeitsstelle als Bauarbeiter hatte er mir besorgt.“

Nach anfänglichen Schwierigkeiten in Deutschland fühlt sich die Familie Petrov mittlerweile wohl im Westend (von links): Ivan, Petar, Mariyana, Niki, Kolio und Gina (Eltern von Mariyana, die zu Besuch sind) und Valia, Petars Mutter.
Doch als der 32-Jährige sich weigerte, seinen Lohn komplett an den Verwandten zu geben, wurde die Familie schlagartig aus der Wohnung geschmissen – mit ihren drei und elf Jahre alten Söhnen. „Es war 0 Uhr nachts. Wir wussten nicht wohin. Schließlich haben wir im Park am Hauptbahnhof übernachtet“, erzählt Petars Frau Mariyana (32). Eine weitere Nacht schliefen sie auf dem Gelände einer Tankstelle. „Dort hat uns ein Türke entdeckt und angeboten, die Nacht in einem Lager zu verbringen“, sagt Petar. Am nächsten Tag mussten sie auch da aber raus. Dann trafen sie auf einen Griechen, der ihnen den Tipp gab, sich an die Diakonie zu wenden.

„Sie ist unsere Mutter, Schwester, Engel“: Der M!W-Artikel über Aynur „abla“, die der Familie hier geholfen hat, hängt an der Wand.
Aynur „abla“ hilft in der Not
Gleichzeitig erfuhr auch Integrationsassistentin Aynur Özdemir zufällig, dass eine bulgarische Familie auf der Straße in der Stadt lebt. „Als wir ‚Aynur abla‘ dann trafen, hat sich alles für uns zum Positiven entwickelt. Sie hat uns wirklich bei allem geholfen“, sagt Mariyana. „Sie ist unser Engel, unsere Schwester, unsere Mutter.“ Aynur „abla“ (türkisch „große Schwester“) ist bei unserem Treffen dabei und hört gerührt zu. Das Porträt über sie aus der April-Ausgabe von Mensch!Westend hängt eingerahmt an der Wand. Sie hilft bei dem Gespräch auf Türkisch – viele Bulgaren beherrschen die Sprache des Nachbarlandes. „Ich kann insgesamt vier bis fünf Sprachen einigermaßen sprechen“, sagt Petar. „Weil ich vorher in halb Europa gewesen bin, um Geld zu verdienen.“ In Bulgarien herrsche Armut, es gebe keine Arbeit. „Deshalb haben wir immer einen Ausweg gesucht.“
Mittlerweile hat Petar eine feste Stelle. „Wir haben hier alles, was wir brauchen. Sogar ein bulgarischer Lebensmittelladen befindet sich um die Ecke“, freut sich Mariyana. Auch wenn die Familie ihren Garten, den Strand am Schwarzen Meer in ihrer Heimatstadt Schabla und Freunde vermisst, lebt sie glücklich im Westend. „Uns wurde in dem einen Jahr mehr geholfen als das ganze Leben lang in Bulgarien“, sagt Petar. „Überhaupt geht alles korrekt zu. Wenn etwas ausgemacht wird, halten die Menschen sich daran.“ Er hört nicht auf, Deutschland zu loben. Auch als es um die Herkunft geht. „Wir sind Roma. Hier werden wir weniger diskriminiert als in Bulgarien.“ Nur mit der „sehr schwierigen“ Sprache klappt es noch nicht ganz. Daher ist bei den Petrovs bulgarisches Fernsehen tabu. „Wir schauen nur deutsches TV!“
>> Kochrezept der Familie Petrov: Bulgarische Banitza
Text & Fotos: Erdal Aslan
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