Hinter der Theke hört man Bohrer und Hämmer arbeiten. Der Geruch von Gummi und Kettenöl liegt in der Luft. Und überall stehen Fahrräder. Der Zweiradfreund wird sich in Harald Jeskes Geschäft wie zuhause fühlen. „Fahrrad Klauss“ steht seit dem Jahr 1907 über der Tür der Bleichstraße 13 und ist eines der ältesten Fahrradgeschäfte Hessens. Es wurde 1907 von Traugott Klauss gegründet, ging von ihr an die Tochter Helga und deren Mann Gerhard Huth, die „Fahrrad Klauss“ 1965 übernahmen. Die Ehe wurde zu Beginn der Neunzigerjahre geschieden, aber Inhaber Huth ließ das bekannte „Klauss“-Schild über der Tür hängen und lockte damit weiterhin Kunden ins Traditionsgeschäft.

Noch mit alter Tür: Das Geschäft „Fahrrad Klauss“ im Jahr 1998/99, als Harald Jeske den Laden gerade übernommen hatte.
Jeske arbeitet seit 1972 beim Fahrradspezialisten. Im Alter von 14 Jahren kam er mit seinem kaputten Rennrad zu „Fahrrad Klauss“. Den Laden mochte er sofort und fragte Gerhard Huth direkt nach Arbeit. „Ich bin quasi im Laden aufgewachsen“, erzählt Jeske über seine Beziehung zum Geschäft. Genau das sagt auch Helga Huth über ihre Kindheit im Bleichstraße-Laden.
Bleichstraße hat sich verändert
Bei seiner Übernahme 1998 hat der heute 52-jährige Jeske vieles neu gemacht. Dass das Traditionsgeschäft seit über 100 Jahren das Westend ziert, sieht man ihm nicht an. Aber die Zeiten wurden seit Jeskes Einstieg nicht einfacherer für den Fahrradladen: „Früher war diese Straße einfach kaufkräftiger und attraktiver“, meint Helga Huth.
„Hier waren Cafés, ein Juwelier und viele Geschäfte. Heute gibt es fast nur noch Handyläden und Euro-Shops“, erinnert sich auch Jeskes Lebensgefährtin und Mitarbeiterin, Susanne Krause, an die Bleichstraße der Neunzigerjahre. Parkplätze vor dem Geschäft mussten einer Busspur weichen, es gibt keinen Fußgängerüberweg, der Zugang zum Geschäft von der anderen Seite aus ist schwer. „Ende der Neunziger haben wir an einem Samstag 18000 Mark umgesetzt. Das passiert heute nicht mehr“, bedauert der Chef.

Eine Werbeanzeige in der Zeitung im Jahr 1957 – zum 50-jährigen Bestehen.
Aufgepumpter Kinderwagen
„Neulich war eine Mutter mit Kinderwagen da, deren Reifen war platt. Natürlich habe ich ihr den gerne aufgepumpt und geflickt und nichts dafür verlangt“, sagt Jeske. „Das tun wir nicht nur fürs Geld, man muss ja auch glücklich sein mit dem, was man macht. Das liegt in meinem Wesen, das zu machen.“ Es sei wichtig, dass man sich in seiner Haut wohlfühlen könne, wenn man abends nach Hause geht, sind sich Jeske und Krause einig.
Ein großer Gegner des Geschäfts ist seit einigen Jahren das Internet. „Manchmal kommen Leute, um sich von mir beraten zu lassen und ich sehe genau, dass sie das Rad dann aber online günstiger einkaufen wollen und ich nur zum Abmessen diene.“ Mit einem „so gigantischen Angebot“ könne ein Geschäft dieser Größe einfach nicht mithalten, sagt Jeske über die Lagerhallen der Online-Vertriebe. „Früher fuhr man Fahrrad, um von A nach B zu kommen. Heute ist es zum Sportmachen da. Räder wurden besser, aber auch teurer“, berichtet Helga Huth über die Schwierigkeit, viele Fahrräder auf Vorrat zu beschaffen.
Online-Handel unmöglich
Für einen Online-Handel müsste ein komplett neues Kapitel, mit neuem Personal und neuen Abteilungen, angefangen werden – für das kleine Geschäft finanziell unmöglich. Mundpropaganda und der zentrale Standort sind die Faktoren, die es noch heute laufen lassen. „Es hilft natürlich, dass der Laden schon so lange da ist. Sämtliche Generationen im Westend kennen ihn“, erklärt Helga Huth.
Der Verkauf macht für „Fahrrad Klauss“ noch immer den Hauptteil des Umsatzes aus, ein Drittel kommt aber bereits durch die Werkstatt rein. Tendenz steigend. „Früher gab es hier Bekleidung, es gab Mofas und Ersatzteile für sämtliche Zweiräder. In den Vierzigerjahren hat mein Großvater sogar Schlosserarbeiten angeboten“, erinnert sich Helga Huth an den Laden ihres Großvaters. In den Fünfzigerjahren baute Klauss das Geschäft aus, zog von der Hausnummer 15 in die Nummer 13.

Liebgewonnener Arbeitsplatz: Harald Jeske im Jahr 2000 in seinem Geschäft.
Wie einen Sohn geliebt
Auch wenn Jeskes Übernahme von „Fahrrad Klauss“ 1998 bedeutete, dass das Traditionsgeschäft nicht mehr von der Familie betrieben wird, kann man durchaus heute noch mit Recht von einem Familienbetrieb reden. Im Heim aufgewachsen, fand Jeske in dem Laden ein Zuhause und in Huth einen „Ziehvater“, wie er selbst sagt. „Man kann über die Beziehung der beiden sagen, was man will“, meint Jeskes Lebensgefährtin Krause, „er hat ihn geliebt wie einen Sohn.“ Zumal es Helga Huth war, die dem damals 17-jährigen Jeske als Bürge den ersten Mietvertrag unterschrieb, ist der Begriff „Familienbetrieb“ auch nach wie vor nicht fehl am Platz.
Text: Bastian Reisch
Fotos: Fahrrad Klauss
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