Seit über 25 Jahren arbeitet Herbert Cartus mit Kindern und Jugendlichen in der Wellritzstraße. Im Interview mit Mensch!Westend sprach er darüber, wie Eltern ihren Kindern im Schulalltag helfen können und warum auch bei schlechten Noten nicht direkt Panik ausbrechen muss.

Ruhig bleiben und den Kinder vertrauen, auch wenn es schwer fällt: Kommen Kinder mit schwächeren Schulnoten nach Hause, bringt Druck von den Eltern nichts, sagt Erzieher Herbert Cartus.
Herr Cartus, wie können Eltern ihre Kinder bei Schulproblemen unterstützen?
Indem sie zuhören.Ich bin fest davon überzeugt, dass Kinder ihre eigenen Experten sind und wissen, was ihnen guttut. Man muss mit ihnen in den Dialog treten. Dann sagen sie auch, welche Probleme es gibt. Dazu braucht man natürlich Geduld. Das geht nicht von heute auf morgen.
Wie viel Freiraum sollte man den Kindern geben und wann ist es nötig anzuleiten ?
Ich verpacke das gerne in einem Bild: Ich bin Koch und stelle ein Buffet auf. Die Kinder können sich bedienen. Ich muss eine Umgebung schaffen, in der sie sich wohlfühlen und Anreize bekommen. Man muss Vertrauen haben. Viele Eltern meinen zu wissen, was aus dem Kind werden soll. Aber die Kids leben im Hier und Jetzt. Die Vorstellung, was in 15 Jahren passiert, ist zu schwer. Der Satz „Du musst an später denken“ macht keinen Sinn.
Schlechte Noten sind also kein Grund, direkt in Panik zu verfallen?
Überhaupt nicht. Auch wenn es schwerfällt: Man muss locker bleiben. In Deutschland kann man auch mit Hauptschulabschluss auf Umwegen sein Fachabitur nachholen. Es gibt für mich keinen Grund, ständig Druck zu machen.
Kann Druck aus der Familie leistungshemmend sein?
Die Atmosphäre in der Familie ist ganz entscheidend. Hat ein Kind Angst, mit schlechten Noten nach Hause zu kommen, kann das gar nicht förderlich sein. Man muss das für sich durchspielen: Wann ist man in der Lage, Leistung zu bringen? Nämlich dann, wenn man motiviert ist und einen die Themen interessieren.
Welche Faktoren können im Schulalltag die Leistung der Kinder beeinflussen?
Auch da ist die Atmosphäre wesentlich. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist ganz entscheidend. Dazu spielt auch die Ausstattung, Ausrichtung und das Konzept der Schule sowie das Verhältnis der Lehrer untereinander eine Rolle. Wird mehr gegen- als miteinander gearbeitet, leiden die Schüler.

Herbert Cartus
Ein Dauerthema ist auch die Klassengröße. Ist das Lernen mit 30 Mitschülern schwieriger?
Mit so einer Größe kannst du keinen vernünftigen Unterricht machen, der sich individuell mit den Kindern befasst. Es heißt oft, dass man die Stärken der Einzelkinder fördern soll. Da frage ich mich, wie soll das geschehen?
Welche Chancen haben Eltern einzugreifen?
Bei vollen Klassen ist leider nichts zu machen. Bei der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler muss die Initiative eigentlich vom Lehrer ausgehen, weil Lehrer die Experten sind. Darauf wird bei Fortbildungen mittlerweile auch mehr Wert gelegt. Einige schütteln sich, aber andere werden hellhörig. Natürlich haben einige Lehrer auch gute Beziehungen zu ihren Schülern. Das ist leistungsfördernd.
Wie viel können Elternsprechstunden bewirken?
Meiner Meinung nach ist es wesentlich, dass alle Treffen mit Eltern, Lehrer und Schüler stattfinden. Das ist oftmals nicht der Fall und das Kind erfährt nicht, was besprochen wird. Heraus kommt nur: „Du musst mehr lernen.“ Keiner fragt nach dem Grund für die Schwächen und wie man den Lernprozess verbessern kann.
Also lernt nicht jedes Kind gleich?
Es gibt verschiedene Lerntypen. Kindern lernen durch Hören, Sehen oder auch praktische Arbeit. Natürlich gibt es manche, die können es sofort. Das ist aber die Ausnahme. Es ist auch ein Unterschied, ob man alleine oder in der Gruppe lernt.
Wie erkennt man den Lerntyp als Elternteil?
Durch aktives Beobachten und Zuhören. Man muss wahrnehmen, wie das Kind an Dinge herangeht. Ohne dies zu bewerten oder zu kommentieren. Natürlich gibt es Mischformen zwischen den einzelnen Lerntypen. Jedes Kind ist unterschiedlich und hat eigene Stärken.
Ist es sinnvoll, nur die Stärken zu fördern?
Nein. Man sollte in den Dialog treten und vermitteln, dass man auch in schwächeren Bereichen durchkommen muss. Wenn dann eine drei oder vier herauskommt, sollte das auch in Ordnung sein. In einer guten und vertraulichen Atmosphäre können Eltern diese Bereitschaft aus dem Kind herauskitzeln.
Können dabei auch Belohnung und Bestrafunghelfen?
Das geht gar nicht! Belohnung ist die böse Schwester der Bestrafung. Fangen wir mit der Bestrafung an: Hat ein Kind schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht, ist es sinnlos, ihm den restlichen Spaß zu nehmen. Daran kann das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl kaputt gehen. Andersrum bringt es auch nichts, Kinder mit fünf Euro für eine eins oder zwei zu belohnen. Natürlich soll man ein Kind loben. Aber in der Schule sollte es darum gehen, dass ein Kind für sich und nicht für das Geld lernt.
Interview: Stephan Crecelius
Foto: wita/Paul Müller
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