Sayed will heute seine Kochkünste unter Beweis stellen. Der quirlige Afghane gießt den Reis ab, Belal assistiert ihm und rührt im Kochtopf. Währenddessen schaut Hayat eine Reality-Doku im TV, Mohamad vertreibt sich die Zeit vor dem Rechner in der großen Gemeinschaftsküche der Wohngruppe. Langsam trudeln auch Abdirahman und die anderen Jugendlichen aus dem unteren Stockwerk ein. Es ist laut, ein Sprachenwirrwarr durchzieht den Raum.
„Über das Essen leben wir unsere Heimatkultur aus“, sagt der 17-jährige Belal. Die Jugendlichen stammen aus Äthiopien, Afghanistan, Eritrea, Bangladesch und Somalia. Eins haben sie alle gemeinsam: Sie mussten ihre Familien in der Heimat zurücklassen und sind alleine nach Deutschland geflüchtet, teils unter Todesangst. Jetzt leben die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in einer Wohngruppe des Antoniusheims am Bismarckring. „Wir reden nicht viel über das, was in der Vergangenheit passiert ist. Denn jeder, der geflüchtet ist, hat auch was Schlimmes erlebt“, sagt der Afghane Belal in bestem Deutsch.

„Über das Essen leben wir unsere Heimatkultur aus“: Einige Bewohner aus der Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge am Bismarckring versammeln sich zum Abendessen in der Gemeinschaftsküche. Von links: Belal, Sozialarbeiterin Sonja Enste, Hayat, Sayed, Mohamad, Mohamad und Abdirahman.
15 Jungs, zwei Mädchen
Die Jugendlichen konzentrieren sich auf ihre Zukunft, versuchen, sich auf das Leben in Deutschland vorzubereiten. „Am Anfang war es hier schwer, mittlerweile haben wir uns aber an die Gesetze und Regeln gewöhnt“, sagt Sayed. Und an die Deutschen: „Wir Afghanen machen viele Späße, einige Deutsche haben unseren Humor nicht verstanden und vieles ernst genommen. Aber wir haben uns aneinander gewöhnt“, fügt er lachend hinzu.
Das Einleben in der Fremde habe die Wohngruppe erleichtert, „wir sind schon eine Art Familie“. Trotzdem verstehen sich die Jugendlichen vor allem mit den eigenen Landsleuten gut. Im zweiten Stock, in dem sich auch die große Küche befindet, wohnen die Afghanen, eine Etage tiefer die Somalis. Das sind die zwei größten Gruppen. Dazwischen leben vereinzelt die anderen. Nur zwei Mädchen sind unter den 17 Jugendlichen.„Manchmal ist es schwer mit den Jungs, sie sind oft sehr laut“, sagt Hayat. Aber sie fühle sich dennoch wohl.

Sayed spielt Piano in seinem Zimmer. Jeder hat einen Raum für sich, der etwa 10 bis 15 Quadratmeter groß ist.
Kein Kontakt mehr zur Familie
Hayat ist mit ihrem Bruder aus Äthiopien geflüchtet. „Ich weiß aber nicht, wo er sich momentan befindet.“ Zu ihrer Familie hat sie keinen Kontakt mehr. „Das Leben ist scheiße“, sagt die 16-Jährige leise, und wendet den Blick ab. „Manchmal“, schiebt sie schnell hinterher. Einige der anderen haben noch Kontakt zu ihren Familien. „Ich telefoniere einmal die Woche mit meiner Mutter“, sagt Abdirahman. Auch über Skype oder Whatsapp halten die Jugendlichen Kontakt. „Wir haben WLAN hier. Aber wir schalten das um null Uhr ab“, erklärt Sonja Enste, eine der Sozialarbeiterinnen der Wohngruppen, lächelnd. Grenzen müssen sein.
Die Sozialarbeiter bereiten die Jugendlichen auf ihr Leben als Erwachsene vor, deshalb heißt die Gruppe auch „Verselbstständigungsgruppe“. „Sie sind schon für sich selbst verantwortlich. Wir nehmen den Jugendlichen aber auch viel Organisatorisches ab, erledigen Papierkram oder begleiten sie zum Arzt.“ Und sie achten darauf, dass sie in die Schule gehen. Sonst wird das Taschengeld gekürzt.
Wohnung zu finden, ist schwer
„Wir sind zwar dankbar für alles. Aber langsam wird es hier etwas langweilig, man kann nicht seinen eigenen Weg finden“, sagt Sayed, der schon seit drei Jahren in der Wohngruppe wohnt. „Die Wohngruppe kann einen faul machen.“ Der 17-Jährige freut sich darauf, dass er bald 18 ist. Dann wird und muss er ausziehen.
„Aber es ist schwierig, eine Wohnung zu finden“, sagt Abdirahman, der Mitte Juli das Heim verlassen muss. „Viele Vermieter wollen keine Mieter, die Sozialleistungen beziehen. Es kommt meistens nicht mal zum Besichtigungstermin“, ergänzt Enste. Momentan steht bei vielen Jugendlichen der schulische Abschluss an. Belal will nach seinem Realabschluss auf die Fachoberschule, Abdirahman wird im Sommer ein Praktikum machen, sucht nach einer Ausbildungsstelle als Krankenpfleger.
„Küss mich, Mesut Özil“
Doch bis dahin bleiben sie bei ihrer jetzigen „Familie“. Am Esstisch wird gescherzt, gelacht und sich auf Deutsch unterhalten. Dass alle gemeinsam essen, kommt nicht sehr oft vor. Sayed holt daher nach dem Essen sein Piano und sorgt für Stimmung. „Manchmal tanzen wir hier auch.“ Momentan stehen zwei Großereignisse für die Jugendlichen im Fokus: Ramadan, auch wenn nicht alle mitfasten, und die Fußballeuropameisterschaft. Hayat ist großer Fan von Mesut Özil, sie hat ein Plakat gemalt, das im Flur hängt: „Küss mich, Mesut“ steht darauf. Natürlich halte sie zu Deutschland, ihrer neuen Heimat.
Text & Fotos: Erdal Aslan

Sayed präsentiert afghanische Rezepte.
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