Die Augen von Sylvelin Bernhardt leuchten auch heute noch, wenn sie über den „Bumerang“ spricht. Bei Kaffee und Kuchen vergeht die Zeit mit Geschichten und Anekdoten über ihre Kultkneipe wie im Fluge. 50 Jahre stand Sylvi, wie sie genannt wird, hinter dem Tresen in der Wellritzstraße 18. In einer Kneipe, in der viele Besucher mehr waren als Gäste: Sie waren Freunde. Mittlerweile ist es sechs Jahre her, seit Sylvi das letzte Bier verkauft und den „Bumerang“ im Juli 2010 geschlossen hat. Aber Ende des Jahres lebt der Geist vom „Bumerang“ auf der Kinoleinwand wieder auf. Thomas Lawetzky, der ebenfalls Stammgast in der Kneipe war, drehte gemeinsam mit seinem Sohn Matthias einen Film über die 82-Jährige und ihren „Bumerang“. Premiere ist am 2. Dezember im Caligari (20 Uhr).

Sylvelin „Sylvi“ Bernhardt war für ihre Gäste im „Bumerang“ mehr eine Freundin als eine Wirtin und sorgte auch mit der Deckenbeleuchtung für eine Wohnzimmeratmosphäre.
Eröffnung im Jahr 1960
Eröffnet hatte Sylvi, die heute ihr Leben als Rentnerin in Niedernhausen genießt, den „Bumerang“ mit ihren zwei Brüdern Hans-Joachim und Jürgen im Jahr 1960. „Unsere Mutter hat noch gesagt: Was macht ihr da?“, erinnert sie sich. Die ehrliche Antwort: „Ich weiß es nicht. Das müssen wir sehen.“ Schließlich habe keiner Ahnung von der Gastronomie gehabt. „Aber der Laden war von Beginn an voll.“
Die Brüder stiegen einige Jahre nach der Eröffnung aus. Sylvi blieb. „Bis zum Schluss habe ich gerne gearbeitet. Auch wenn es sich komisch anhört: Die Zeit war wie ein psychologisches Studium.“ Denn sie verkaufte nicht nur Bier, sondern war den vielen Stammgästen auch immer eine Freundin und Zuhörerin. Und das kam zurück. „Als mein Mann gestorben ist, hat mir der Bumerang Halt gegeben“, sagt Sylvi, die direkt Vollzeit weiterarbeitete. „Immer wenn es mir nicht gut ging, konnte ich mich darauf verlassen, dass mich jemand in den Arm nimmt.“

Auch an der Eingangstür der Kultkneipe durfte der namensgebende Bumerang natürlich nicht fehlen. Heute hängen die Schilder zuhause bei Sylvi.
Das Ende nie bereut
Trotz der intensiven Zeit hat es Sylvi nie bereut, den „Bumerang“geschlossen zu haben. Nach ihr zog im Übrigen kein Gastronomiebetrieb ein. „Am Anfang hat mich das geschockt“, sagt die 82-Jährige. Schließlich habe sie damit geplant, dass der Nachfolger ihre Einrichtung übernehme. „Doch der Vermieter hat gesagt: So eine wie dich finde ich nie mehr.“ An der Stelle des „Bumerang“ steht in der Wellritzstraße mittlerweile ein Bekleidungsgeschäft.
Beim Ausräumen half Sylvi ihr Enkel, der beim Technischen Hilfswerk (THW) arbeitet. „Ich habe ihn gefragt, ob er was brauchen kann“, erzählt sie. „Er meinte, dass er alles nehmen würde.“ Ehe Sylvi ihre Zustimmung gab, überzeugte sie sich aber selbst noch, dass ihre geliebte Einrichtung beim THW einen angemessenen Platz fand. Erst dann konnte ihr Enkel alles abholen.
Süßes Gebäck zum Abschluss

Voller Tresen: Die Plätze direkt an der Bar im „Bumerang“ waren unter den Gästen von Sylvi besonders beliebt.
Im „Bumerang“ sei nur ein leerer Raum zurückgeblieben. „Als ich dort stand, habe ich gedacht: Wahnsinn! Hier hast du 50 Jahre lang gearbeitet“, sagt Sylvi. Doch nach einem Kaffee und einem süßen Gebäck in einem türkischen Laden sei ihr der Abschied nicht schwergefallen. „Es war an der Zeit. Ich habe auch direkt nach dem Ende selten an die Arbeit im Bumerang gedacht.“ Geblieben sind dagegen die Erinnerungen an viele Gespräche. Politische, aber auch völlig belanglose. „Wir haben mal stundenlang darüber diskutiert, ob Zecken Augen haben“, sagt Sylvi. „Am Ende haben wir nur noch gelacht.“
An das Ergebnis der Diskussion kann sie sich nicht mehr erinnern. Und es ist auch egal. Viel wichtiger ist, dass sie auch heute noch Kontakt mit manchen Gästen hält und sich regelmäßig mit einigen von ihnen trifft. Ort ist oft das „Finale“ in der Emser Straße. Denn schließlich ist das auch die Idee, die vor 56 Jahren hinter dem Namen des „Bumerang“ stand. Sylvi erklärt: „Wer einmal da war, sollte immer wieder den Weg in die Kneipe finden. Und so ist es auch gekommen.“
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Text: Stephan Crecelius
Fotos: RMB/Heiko Kubenka, wita/Uwe Stotz, S. Bernhardt
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