Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat kürzlich einen Zehn-Punkte-Katalog zur deutschen „Leitkultur“ vorgestellt. Unter anderem wurde die Aussage „Wir sind nicht Burka“ kontrovers diskutiert. Wir haben vier Ortsbeiratsmitglieder aus dem Westend nach ihrer Meinung gefragt. Brauchen wir eine „Leitkultur“ oder ist das Zusammenleben nicht bereits ausreichend im Grundgesetz geregelt?

Petra Bermes
Petra Bermes, 53, Friseurin, Ortsbeiratsmitglied der Grünen:
Ich kann mich mit diesem Begriff überhaupt nicht anfreunden. Das entspricht absolut nicht mehr unserer Realität. Hier in Wiesbaden – besonders bei uns im Westend – leben so viele Kulturen miteinander. Wenn überhaupt, könnte man über eine internationale Leitkultur reden, aber ich halte das ehrlich gesagt für überflüssig. Für mich ist der Begriff sowieso ein „Unwort“. Die zehn Thesen will ich eigentlich gar nicht diskutieren. Zum Beispiel gibt es mittlerweile so viele Möglichkeiten, sich zu begrüßen. Da ist das Händeschütteln nur noch eine Höflichkeitsform. Neben unserem Grundgesetz brauchen wir keinen Leitfaden, der unsere Zusammenleben regelt.

Christian Hill
Christian Hill, 48, Kaufmann, Ortsbeiratsmitglied der CDU
Ich bin positiv überrascht und freue mich darüber, dass unser Innenminister die Diskussion über eine Leitkultur angestoßen hat. Wir brauchen eine Leitkultur, weil es gewisse Traditionen gibt, die einfach zu unserer Kultur gehören. Zum Beispiel das Händeschütteln bei der Begrüßung. Wenn ich in andere Länder fahre, halte ich mich auch an die Sitten und Gebräuche vor Ort und achte darauf, dass ich mich anpasse. Das Grundgesetz ist da zu wenig, da es als es 1949 geschrieben wurde, nicht auf die aktuellen Herausforderungen vorbereitet war. Besonders wenn jemand Deutscher wird, halte ich es für wichtig, dass er sich an unsere Gebräuche hält und zu unserer Geschichte mit allen Höhen und Tiefen bekennt.

Giang Vu
Giang Vu, 33, Fraktionsreferent, Ortsbeiratsmitglied der SPD
Nein, wir brauchen auf keinen Fall eine Leitkultur. Die Debatte gibt es leider immer wieder, aber sie ist fruchtlos. Die Debatten darüber verursachen mehr Leid statt Leiten. Die Kultur befindet sich ja immer im Wandel und deshalb kann man sie auch nicht in einen konkreten Rahmen fassen. Klar, es muss Spielregeln geben. Der Meinung bin ich auch und alle müssen miteinander klarkommen, aber dafür brauchen wir keine Leitkultur. Die Regeln für das gute Miteinander gibt uns unser Grundgesetz und unsere Gesetzgebung vor. Das sind unsere Spielregeln. Mit einer Leitkultur würde man die Gesellschaft eher spalten, anstatt sie zu vereinen.

Christoph Mürdter
Christoph Mürdter, 45, Soziologe, Ortsbeiratsmitglied, Die Linke
Wir brauchen keine Leitkulturdebatte. Ich frage mich eher, was den Menschen unter den Nägeln brennt. Das sind soziale Fragen, wie zum Beispiel Bildung, Erziehung, Armut, günstiger Wohnraum und ein menschenwürdiges Leben im Alter. Der Alltag im Kapitalismus ist geprägt von Zukunftsängsten, Leistungshetze und einer Ellenbogenmentalität. Die wirkliche Leitkultur in dieser Gesellschaft ist die Profitmaximierung, der die Interessen der Menschen untergeordnet sind. Man sollte da lieber konsequente Alternativen anbieten, als mit so einem Vorstoß von realen Problemen abzulenken.
Umfrage & Fotos: Markus Grendel

Cartoon: Theodor Schneckensteiff
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