Am 18. Dezember ist der internationale Tag der Migranten. Zwei Jahre sind seit dem Zustrom von hunderttausenden Flüchtlingen nach Deutschland vergangen. Auch Wiesbaden stellte zahlreiche Turnhallen und Unterkünfte für die angekommenen Flüchtlinge zur Verfügung. Sebastian Hofmann ist Erziehungsleiter im Jugendhilfeverbund Antoniusheim und Sozialpädagoge. Christina Bopp ist Diplompsychologin und engagiert sich seit 2013 ehrenamtlich für Flüchtlinge, zur Zeit im Freiwilligenzentrum für das Projekt „Angekommen – Perspektiven für Flüchtlinge“. Anlässlich des Tages der Migranten sprechen sie im Interview gemeinsam über die Veränderungen, die seit Beginn der Flüchtlingswelle in Wiesbaden eingetreten sind, und geben einen Einblick in ihre Arbeit mit den Flüchtlingen.

Sebastian Hofmann und Christina Bopp wünschen sich mehr freiwillige Paten, die Flüchtlinge auf ihrem Weg begleiten.
Herr Hofmann, Frau Bopp, wie bewerten Sie die aktuelle Situation von Flüchtlingen und ihrer Integration in Wiesbaden?
Hofmann: Im Vergleich zur Situation vor zwei Jahren sind die aktuelle Form der Unterbringungen und die administrativen Abläufe heute viel besser ausgebaut. Außerdem habe ich festgestellt, dass Wiesbaden eine weltoffene Stadt ist, und durch das breite Ehrenamt macht sie es den Geflüchteten eher leicht, sich zurechtzufinden. Aber der Integrationsprozess ist noch in den Anfängen und wird noch mindestens eine, eher zwei Generationen überdauern.
Bopp: Ehrenamt spielt in der Flüchtlingsbegleitung von Anfang an eine sehr große Rolle. Und da war die städtische Verwaltung von Anfang an offen für Anregung und Kooperationen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwierig, schon von Integration zu sprechen. Die soziale Integration ist im Moment selten gegeben, da die meisten Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften leben. Die Blickrichtung auf Integration verkürzt sich aktuell häufig auf eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Und das funktioniert selten. Ich würde es eher ein konfliktfreies Miteinander nennen, das geschaffen werden muss, bevor eine Integration möglich ist.
Was läuft denn bis jetzt besonders gut in Wiesbaden – und was schlecht?
Hofmann: Wir haben eine deutlich verkürzte Phase für Asylverfahren. Teilweise musste man zwei Jahre auf ein Ergebnis warten. Allerdings ist die Auswahl derjenigen, die darüber entscheiden, welcher Asylantrag genehmigt wird und welcher nicht, eher durchwachsen. Besonders gut läuft auch die Beschulung der jugendlichen Geflüchteten. Da ist das Engagement der Lehrer echt beeindruckend.
Bopp: Bei den Erwachsenen ist das „große Interview“, wie die Geflüchteten es nennen, oft ein Problem. Es wird nicht rückübersetzt, weswegen der Antrag oft inhaltlich falsch ist. Die Geflüchteten werden auch oft nicht über ihre Möglichkeiten informiert. Das kostet sie viel Zeit, Geld und Hoffnung.
Wo muss die Stadt Wiesbaden noch aktiver werden?
Hofmann: Die Stadt sollte bei der Wohnungssuche offener für Wohngemeinschaften sein. Solche gab es früher schon mal und viele der unbegleiteten minderjährigen Ausländer, die „umAs“, wünschen sich das auch heute wieder.
Bopp: Es fehlen Dolmetscher in den Ämtern, was die Kommunikation zwischen Geflüchteten und Sachbearbeitern erschwert. Die Leute verstehen oft nicht, was ihre Pflichten sind. Und so kommt es zu Kürzungen.
Wie bewerten Sie die Entwicklung der Wiesbadener in Bezug auf ihre neuen Nachbarn?
Hofmann: In der Regel sind die Nachbarn sehr nett und begrüßen die Jugendlichen auch herzlich in der Nachbarschaft. Gerade die Vereine laufen sehr gut und zeigen große Bereitschaft, die Jugendlichen aufzunehmen.
Bopp: Bei den Erwachsenen ist der Zugang zum sozialen Umfeld schwieriger. Es fällt ihnen schwer, mit anderen in Kontakt zu treten. Oft scheitert es an der Sprachbarriere.
Wie hat sich die Arbeit für Institutionen wie das Freiwilligenzentrum oder das Antoniusheim geändert?
Hofmann: Neu ist die Menge der ankommenden umAs. Außerdem kommen sie aus anderen Herkunftsländern als noch vor zwei Jahren. Im Moment kommen einige auch aus dem Jemen. Uns fehlen oft Antworten, die wir erst finden müssen.
Bopp: Es gibt weniger Ehrenamtliche, die sich engagieren wollen und es ist schwierig, Neue zu finden. Das Ehrenamt hat vor zwei Jahren eine Lücke geschlossen. Aber heute gibt es immer mehr professionelle Sprachförderung. Deswegen hat das Freiwilligenzentrum das Angebot verändert. Wir bieten vermehrt Konversationskurse, Zertifizierungskurse und auch Nachhilfe an.
Gibt es genug Mitarbeiter oder suchen Sie noch Helfer?
Bopp: In den Patenprojekten haben wir immer großen Bedarf an neuen Freiwilligen. Deswegen suchen wir Wiesbadener, die sich Zeit nehmen, um als Pate zu agieren. Geflüchtete in eigenen Wohnungen sind oft schwieriger zu erreichen und somit schwieriger zugänglich. Dafür suchen wir Paten, da sie die wichtigsten Verbindungspersonen und auch ein Türöffner sind.
Welchen Rat würden Sie den Geflüchteten mit auf den Weg geben?
Bopp: Sich um die Sprache und berufliche Qualifikation bemühen, ein Netzwerk aufbauen, sich selbst engagieren und einen Paten finden. Das würde ich jedem raten, der neu nach Deutschland kommt.
Interview & Foto: Lisa Marie Christ
PATE WERDEN
Antoniuspaten begleiten Jugendliche einige Monate vor Erreichen der Volljährigkeit und unterstützen die Arbeit in den Erstaufnahme- und Wohngruppen. Infos unter Telefon 0611- 89075310 oder www.jugendhilfeverbund-antoniusheim.de.
Das Freiwilligenzentrum vermittelt verschiedene Paten- und Mentoringmodelle in Wiesbaden mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Infos unter www.fwz-wiesbaden.de/paten.
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