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„Kanakisiert euch!“ – Gastautorin Tunay Önder plädiert für eine postmigrantische Perspektive

20. August 2018 · admin

Im Rahmen des Festivals „Wiesbaden Biennale“ wird die Bloggerin, Autorin und Aktivistin Tunay Önder ab dem 23. August elf Tage lang einen  sogenannten Migrantenstadl in der Wartburg veranstalten. In ihrem Gastbeitrag schreibt sie aus der Sicht eines Gastarbeiterkindes, welcher Perspektivwechsel nötig ist in einer postmigrantischen Gesellschaft.

Von Tunay Önder

Als Kind von Gastarbeitern in Deutschland hängt der Wunsch, die Gesellschaft neu zu erfinden, mit einer ganz spezifischen Erfahrung zusammen: im eigenen Geburtsland und Lebensraum den Ausländer-Status zugewiesen zu bekommen. Die damit zusammenhängenden Lebensumstände und -bedingungen erscheinen einem in den unbewussten Jahren der Sozialisation als die ganz normale Ordnung der Welt, die es hinzunehmen und zu verinnerlichen gilt. Seien es nun prekäre Wohn- und Arbeitsverhältnisse der Eltern oder rassistische An- und Zurechtweisungen, mit denen man in der Schule, auf der Straße, in Behörden und Medien konfrontiert wird.

Sie setzt sich für eine postmigrantische Perspektive ein: Autorin und Bloggerin Tunay Önder aus München, hier vor einem Plakat in der Wellritzstraße in Wiesbaden.

Sie setzt sich für eine postmigrantische Perspektive ein: Autorin und Bloggerin Tunay Önder aus München, hier vor einem Plakat in der Wellritzstraße in Wiesbaden.

Fehlende Mitgestaltung

Die Lebensperspektive orientiert sich an dem, was man aus seinem nächsten Umfeld kennt – also die Aussicht auf ein Berufsleben im Niedriglohnsektor oder als Hilfskraft. An den Orten der gesellschaftlichen Mitgestaltung und Entscheidung sitzen meistens die anderen, diejenigen, die zufälligerweise nicht in Gastarbeitersiedlungen aufgewachsen sind.

Diese Beobachtung ist ein zentraler Grund gewesen, weshalb Imad Mustafa und ich 2011 den Blog „migrantenstadl“ gründeten. Ohne selbst migriert zu sein, hängen unsere Lebenssituation, -erfahrungen und -perspektiven, wie die von Millionen Menschen in der Bundesrepublik, unmittelbar mit der Migration unserer Eltern zusammen. Sie gelten aber nicht als gleichberechtigte und selbstverständliche Lebensrealität in diesem Land. Die damit zusammenhängenden Erfahrungen prägen die Lebenswelten vieler Menschen hierzulande, während sie gleichzeitig einem anderen Teil der Bevölkerung meistens völlig verborgen bleiben. Wenn da nicht solche „Aufreißer“ wie die aktuelle Hashtagaktion #MeTwo wären, die unsere Erfahrungswelten ins öffentliche Bewusstsein katapultieren. Unter dem Hashtag teilen momentan Tausende auf Twitter und Facebook ihre Erfahrungen mit Diskriminierung im Alltag. Der Anlass dafür war die Rassismusdebatte nach dem Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft.

Quotenmigranten helfen nicht

Wie notwendig es ist, sich in den öffentlichen Diskurs einzuklinken und alternative Perspektiven einzubringen, hat die Causa Özil wieder deutlich gemacht. Es hat gezeigt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft offensichtlich jederzeit wieder infrage gestellt werden kann, wenn man sich nicht ausschließlich zum Deutschsein bekennt. Warum muss ich mich als mehrheimische Deutsche immer wieder dafür rechtfertigen, dass ich mehr als eine Zugehörigkeit habe? Insbesondere dann, wenn es sich um einen vermeintlich außereuropäischen oder muslimischen Bezug handelt. Warum werde ich aufgrund meiner transnationalen, hybriden Identität in meinem eigenen Land als andersartig dargestellt? Und das, obwohl ich mit meiner Biografie eine ziemlich zukunftsweisende Staatsbürgerin sein dürfte. Aus meiner Perspektive müssen sich nicht die vermeintlich Andersartigen integrieren; sondern die Mehrheitsgesellschaft muss sich kanakisieren.

Es muss darum gehen, einen umfassenden Perspektivwechsel einzunehmen. Die gesellschaftliche Pluralität muss sich auch endlich mal auf politischer Ebene, in Lehrerzimmern, Redaktionen, Hochschulen, Kunst- und Kulturinstitutionen widerspiegeln. Mit ein paar Quotenmigranten wird das Problem nicht gelöst, sondern nur verschleiert. Es könnte hilfreich sein, über die Ausschlüsse und Barrieren in der Gesellschaft offensiver zu sprechen und genauer hinzugucken. Denn selbst wenn man die unberechtigte (!) Hauptschulempfehlung in der Grundschule erfolgreich umgangen, sich den Weg von der weiterführenden Schule bis zum Studium freigeschlagen hat, in der Hoffnung an den Dominanzstrukturen etwas ändern zu können: So merkt man doch spätestens am Ende einer langen Studienzeit, dass man einem Berg an Schulden hat, aber der Zugang zu entscheidenden Bereichen der Gesellschaft versperrt bleibt. Sei es aufgrund meines „ausländisch“ klingenden Namens oder fehlender Beziehungen zu Berufsfeldern jenseits der (Gast-)Arbeiterklasse.

Bewusstsein für postmigrantische Gesellschaft

Was mir Hoffnung macht, ist die Erfahrung, dass sich auch mit kulturellem und sozialem Kapital und den richtigen Verbündeten aus der Mehrheitsgesellschaft ganz schön viel bewegen lässt: Seit der Gründung unseres Blogs haben wir uns mit vielen Mitstreitern der früheren und der jüngeren Generation an Gastarbeiterkindern und anderen Marginalisierten vernetzt. Wir bilden zusammen ein stetig wachsendes Bewusstsein für eine postmigrantische Gesellschaft aus.

In ihr gehört Migration selbstverständlich zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der bundesrepublikanischen Kultur – denn wir kommen alle irgendwoher. Unsere Teilhabe und Rechte dürfen daher nicht davon abhängen, wie lange wir hier sind, ob wir die Sprache beherrschen, woran wir glauben oder wie wir aussehen. Diese Perspektive muss Eingang finden in unsere Diskurse, Hörsäle und Herzen. In diesem Sinne lädt der „Migrantenstadl“ alle Freunde der postmigrantischen Gesellschaft während der Wiesbaden Biennale in die Wartburg ein.

Text & Foto: Tunay Önder

ZUR AUTORIN

Tunay Önder studierte Soziologie, Politik und Ethnologie und ist seither als Arbeitsmigrantin in verschiedenen Parallelwelten wie Medien, Wissenschaft und Theater tätig. 2011 gründete sie zusammen mit Imad Mustafa den für den Grimme-Award nominierten Blog „migrantenstadl“ für postmigrantische Perspektiven. 2016 erschien das gleichnamige Buch im Unrast Verlag. 

Gepostet in: //Allgemeines, //Westend, //Wiesbaden
Tags: Erdogan, Flüchtlinge, Gastarbeiter, Gündogan, Integration, Islam, Migranten, Migrantenstadl, Özil, Tunay Önder, Wartburg, Westend, Wiesbaden, Wiesbaden Biennale

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