Von Erdal Aslan
Es ist bestimmt nicht der einzige Schandfleck im Westend oder in Wiesbaden. Aber das Gebäude am Bismarckring 23 stellt das Symbol schlechthin für Mehrfamilienhäuser dar, die seit Jahren in der Innenstadt verkommen und leer stehen. Und das, obwohl akute Wohnungsnot herrscht: „Wir brauchen wirklich jede Wohnung dringend. Wir müssen an allen Stellschrauben drehen, damit Wohnungen dem Mietmarkt wieder zugeführt werden“, betont Eva-Maria Winckelmann, Geschäftsführerin des Mieterbunds Wiesbaden. Knapp 3500 wohnungssuchende Haushalte sind allein bei der Stadt gemeldet. Doch warum passiert am Bismarckring 23 seit mehreren Jahren nichts?

Das Gebäude am Bismarckring 23 steht fast leer und verkommt seit Jahren. Doch den Vermieter scheint das nicht zu interessieren. Foto: Erdal Aslan
Als diese Zeitung den Eigentümer, die Avraham Milnitzki GmbH in Frankfurt, im März 2018 kontaktiert, sagt dieser genervt, dass noch zwei Mieter im Haus seien und das Gebäude in absehbarer Zeit instand gesetzt werde. Seitdem sind jedoch keine Veränderungen erkennbar. Eineinhalb Jahre später rufen wir erneut an, Milnitzki lacht am Telefon und wiegelt ab. „Doch, doch, ich habe angefangen. Dieses Haus zu sanieren, dauert halt. Das kostet mehrere Hunderttausend Euro, das Geld muss man erst mal haben“, sagt Milnitzki, der dem Vernehmen nach gleich mehrere Immobilien in Frankfurt besitzen soll.
Lesen Sie auch: Warum sich Leerstand für Eigentümer lohnen kann
Lesen Sie auch: Linke fordert Leerstandskataster und Zweckentfremdungsverbot
„Ich denke, es wird noch mindestens ein Jahr dauern. Außerdem sieht das Haus doch gut aus“, meint er und will schon wieder auflegen. Auf die Frage, wie viele Mieter denn derzeit noch in dem Haus leben, sagt er: „Drei Mieter sind noch drin. Ich habe noch nie Mieter rausgeschmissen übrigens.“ Doch nach Kenntnis dieser Zeitung wohnt dort nur noch eine Privatmieterin – ansonsten gleicht das Gebäude einem Geisterhaus. Die Wiesbadener Volksbank und das Café seien ja auch Mieter, meint Milnitzki auf Anfrage. Die Bank betreibt im Erdgeschoss ein kleines Servicecenter mit einem Geldautomaten. Das Café befindet sich aber gar nicht am Bismarckring 23, sondern in der Hausnummer 21 – das Gebäude gehört auch Milnitzki. „Das ist doch das gleiche“, sagt er.
Als die meist abgeschlossene Außentür im verschmutzten Eingangsbereich am Bismackring 23 mal offen steht, erhalten wir Einblick in das Haus. Wer durch das Gebäude läuft, merkt schnell, dass hier schon lange nichts mehr passiert ist. Der Estrich im kahlen Treppenhaus ist an vielen Stellen gerissen, der Boden wurde nicht weiter saniert. Es gibt abwechselnd zwei bis vier Wohnungstüren je Stockwerk, insgesamt 16. Die meisten von ihnen sind verschlossen, aber nicht alle: In einem verdreckten Appartement befindet sich ein Lattenrost auf dem Boden, auf dem Decken und Kissen liegen. Der Raum ist zugemüllt mit alten Verpackungen, ein Einkaufskorb vom Supermarkt steht als Nachttisch bereit, dazu Kleidungsstücke und ein kaputter Koffer. Es sieht so aus, als habe jemand für einige Zeit dort unbemerkt gelebt.

In einem Raum, der nicht abgeschlossen ist, scheint jemand für eine Weile gelebt zu haben. Er hat seinen Abfall im ganzen Zimmer hinterlassen. Foto: Erdal Aslan
Tote Taube im Waschraum
Vor einer anderen Wohnungstür sieht man auf dem Boden getrocknete Blutflecken. In einem der oberen Geschosse befindet sich ein Waschraum, in dem noch eine alte Waschmaschine steht. Auch hier ein verwahrloster Zustand mit Müll auf dem Boden. Zudem liegt eine tote Taube an einer Seitenwand – und das wohl schon seit längerer Zeit. So ähnlich sehe es auch im Nachbarhaus Bismarckring 21 aus. Dort flogen irgendwann Tauben in die leeren Wohnungen, wie ein ehemaliger Bewohner berichtet.
Nach Informationen dieser Zeitung ist die zweite Privatmieterin am Bismarckring 23, die Milnitzki im vergangenen Jahr erwähnte, ausgezogen, weil sie die Zustände nicht länger ertragen wollte. Auch eine Ärztin zog mit ihrer Praxis weg, weil sie wegen der Kälte keine Patienten mehr dort behandeln wollte. Die Heizungen funktionieren nach unseren Informationen schon länger nicht mehr. Der Eigentümer habe sie nicht reparieren lassen. „Die Eswe hat das Gas abgestellt und auch die Gaszähler abgeklemmt“, berichtet die aktuell letzte Mieterin. „Ich habe die Gaszähler entfernen lassen, weil es zu teuer ist, wenn das Haus leer steht“, sagt Eigentümer Milnitzki. Das Angebot des Vermieters, einen Radiator zu kaufen, hat sie abgelehnt. „Die elektrischen Leitungen sind mir zu unsicher“, sagt sie. Darauf angesprochen meint Milnitzki, dass die Leitungen in Ordnung seien.

Der „Waschraum“ ist zugemüllt, hier liegt auch eine tote Taube (die wir nicht zeigen). Foto: Erdal Aslan
„Ziehen Sie sich einen weiteren Pulli an“
Man könne ja einen weiteren Pulli anziehen, wenn es kalt ist, sei eine der Reaktionen, wenn man den Vermieter auf die Situation anspreche, erzählt die Mieterin. Ein Umgang, den auch andere Mieter von ihm kennen: Auf Google haben ihn acht User negativ bewertet und kommentiert. „Ich hab in meinem ganzen Leben noch nie solch einen unverschämten, unfreundlichen und arroganten Typ kennengelernt“, schreibt einer von ihnen.
Die Mieterin am Bismarckring 23 harrt aber weiterhin aus: „Ich habe eine Ausweichmöglichkeit bei einer Bekannten, wenn es wieder kalt wird.“ Sie wohnt seit mehr als 25 Jahren dort, wie sie sagt. Der ehemalige Eigentümer, die Wiesbadener Volksbank, habe aus einigen früheren Büros Ein-Zimmer-Appartements für Mitarbeiter gemacht. Das Gebäude war bis zuletzt ein Mix aus Büros und Wohnungen, wie auch Milnitzki bestätigt. „Seitdem der jetzige Eigentümer das Haus in Besitz hat, gibt es eigentlich nur Probleme“, sagt die Mieterin. Sie will dennoch bleiben und weiß sich selbst zu helfen: Im dunklen Aufzug hat sie einLicht angebracht, das sie für die Fahrt einschaltet.
Lesen Sie auch: Warum sich Leerstand für Eigentümer lohnen kann
Lesen Sie auch: „Spekulanten enteignen“: Linke fordert Leerstandskataster und Zweckentfremdungsverbot
Gepostet in: //Allgemeines, //Titelstory, //Westend, //Wiesbaden
Tags: Bismarckring, Immobilien, Leerstand, Westend, Wiesbaden, Wohnen, Wohnungsnot, Zuhause im Westend