
Von Erdal Aslan
Wenn am Freitag, 24. April, der Ramadan beginnt, dann heißt es in Corona-Zeiten auch unter Muslimen: Nichts ist in diesem Jahr wie sonst. „Das wird der seltsamste Ramadan meines Lebens. Es ist einfach nur traurig“, sagt Zafer Sahin. Der 50-Jährige war viele Jahre lang Vorsitzender der Süleymaniye Moschee in der Dotzheimer Straße und ist auch heute noch dort aktiv. „Ramadan ist der Monat, in dem wir zusammenkommen, die Gemeinschaft stärken. Jetzt wird jeder für sich sein“, sagt der Türkischstämmige.

17 Stunden nicht essen, trinken und rauchen
Vor allem das gemeinsame abendliche Fastenbrechen („Iftar“) wird Sahin und vielen anderen Muslimen in Wiesbaden fehlen. Während des islamischen Fastenmonats essen, trinken und rauchen Muslime von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang nicht. In diesem Jahr dauert der Fastentag von etwa 4.30 bis 21 Uhr. Die Zeitspanne hängt davon ab, wie lang es abends hell ist. „Wenn man so lange fastet, freut man sich auf das Essen. Es ist Tradition, dass wir uns gegenseitig einladen“, erzählt Sahin.
Auch in den Moscheen wird jeden Abend ein kostenloses Essen ausgegeben. „Es sind dann auch zum Beispiel Flüchtlinge dabei oder einfach Leute, die nicht jeden Abend für sich kochen können. Wir lernen und profitieren alle vom Teilen.“ Normalerweise. Durch die verlängerten Corona-Regelungen bleiben Gotteshäuser dieses Jahr für größere Ansammlungen geschlossen. „Damit fällt auch das allabendliche Teravih-Gebet weg, das nur im Ramadan stattfindet. So ein gemeinsames Gebet verbindet sehr und ist im Islam auch mehr ‚wert‘ als das alleinige Gebet.“
Mutter kann nicht besucht werden
Schwerer trifft Sahin, dass er seine 72-jährige Mutter nicht besuchen und gemeinsam mit ihr das Fasten brechen kann. „Sie gehört als ältere Person zur Corona-Risikogruppe, deshalb gehen wir nicht zu ihr. Sie isst morgens und abends alleine, weil mein Vater in die Türkei gereist war und dort jetzt nicht wegkommt.“ Morgens heißt, dass Muslime vor der Morgendämmerung (also etwa um 3.30 Uhr) aufstehen und nochmal etwas zu sich nehmen. „Ich hoffe nur, wir überstehen dieses Corona bald, denn die Älteren oder Ärmeren vereinsamen“, sagt Sahin.
Verzicht sorgt für Wertschätzung
„Wir müssen uns alle in Corona-Zeiten in Geduld üben. Wie auch im Ramadan: Wir trainieren unseren Willen“, sagt Frauenkoordinatorin Almasa Ramicevic Özkan von der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken Wiesbaden. „Durch den Verzicht lernen wir im Ramadan, selbstverständliche weltliche Dinge wie etwa Wasser wieder wertzuschätzen. Durch Verzicht erfahren wir Spiritualität“, erklärt die 26-jährige Masterstudentin der Islamischen Studien an der Goethe-Uni in Frankfurt. Der Ramadan gilt bei Muslimen als ein Monat der inneren Einkehr. „Wir intensivieren die Gebete und lesen traditionell den kompletten Koran.“ Die ersten Suren der heiligen Schrift der Muslime sollen im Monat Ramadan offenbart worden sein.
In den ersten Tagen des Fastens sei es „natürlich nicht einfach“, sich an den Rhythmus zu gewöhnen. „Doch ungeduldig auf das Essen zu warten, ist nicht der Sinn dieses Monats. Wir fasten mit allen Sinnesorganen“, sagt Özkan. „Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche und versuchen uns von Unnötigem fernzuhalten. Wir analysieren unser Verhalten im Alltag, leben bewusster, versuchen insgesamt ein besserer Mensch zu werden.“

„Wir können Ramadan nicht einfach aus dem Kalender streichen“
All das könne man auch auf die Umstände während der Corona-Krise übertragen. „Ja, es ist nicht leicht, getrennt von den Liebsten diesen Monat zu begehen. Aber man muss es positiv sehen: Man hat umso mehr Zeit, sich mehr mit der Familie in den eigenen vier Wänden zu befassen, die oft zu kurz kommt“, sagt die Bosnischstämmige. Wegen Corona komplett auf das Fasten zu verzichten, gehe allerdings nicht, wie einige forderten. „Wir können den Ramadan nicht einfach aus dem Kalender streichen, er gehört zu den fünf Säulen des Islam. Ohnehin müssen ja Kranke oder gesundheitlich Gefährdete, Kinder oder Schwangere nicht fasten.“
In den letzten Tagen des Fastenmonats seien die meisten Muslime traurig, weil die spirituelle Reise zu Ende gehe. Beim anschließenden Ramadanfest (23. Mai), das drei Tage dauert, herrscht aber wieder gute Laune. „Doch dieses Jahr werden wir wahrscheinlich nicht unsere Eltern oder Großeltern besuchen können“, sagt Özkan. „Aber dann machen wir das wie bei den Verwandten imAusland: Wir rufen sie an oder wir videochatten.“
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