Hans Peter Schickel hat für Mensch!Westend mit vielen Beiträgen von seinen Erinnerungen über das Damals im Westend berichtet. Schickel ist im Westend geboren, aufgewachsen und lebt auch heute im Viertel. Seit einigen Jahrzehnten ist er im Ortsbeirat Westend aktiv und war auch 15 Jahre lang für die SPD im Stadtparlament. Am 20. September hat der Westendler seinen 80. Geburtstag gefeiert. Im Interview blickt er zurück auf den Wandel im Westend und seine politische Laufbahn.

Hans Peter Schickel, 80 Jahre, beim Interview im Pressehaus.
Herr Schickel, Sie haben ihr Leben lang im Westend gelebt. Wollten Sie nie weg?
Nein. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich immer in Wiesbaden gearbeitet habe. Aber: Das Westend ist mein Zuhause, meine Heimat. Eine vertraute Lebenswelt, bei allem Wandel hat sich das nicht verändert. Ich habe hier nie etwas vermisst.
Wie hat sich das Viertel in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Das Westend hat einen soziologischen Wandel durchzogen. Heute leben bekanntlich viel mehr Migranten im Stadtteil als früher. Wir hatten früher, noch vor dem Krieg, nur eine Dunkelhäutige, das war die einzige Ausländerin. Die hat auch unbehelligt gelebt und wurde alt hier. Aber der Wandel ist auch auf der geschäftlichen Ebene grundlegend.

Hans Peter Schickel in „Sepplhose“ (Lederhose) im Jahr 1950/51.
Wie zeigt sich dieser?
Im äußeren Westend gibt es heute zum Beispiel nur noch einen Metzger. Wir haben allgemein einen Rückgang an Vielfalt im geschäftlichen Angebot. Es gibt Gastronomie und eine Monokultur mit Gemüse- und Obsthändlern, vor allem im inneren Westend. Ein Nachteil, den auch das Stadtteilmanagement bei Kubis nicht verhindern konnte. Die einzigen, die sich freigeschwommen haben, sind Günay und Harput.
Hat der Wandel auch positive Seiten?
Es war zum Beispiel faszinierend, die neuen gastronomischen Angebote wahrzunehmen und Neues zu erleben. Ich habe das immer als Bereicherung empfunden.
Würden Sie heute jemandem empfehlen, ins Westend zu ziehen?
Ja, denn der Stadtteil bietet auch heute noch große Vielfalt, auch wenn die Versorgungssituation schlechter geworden ist. Er steht für eine hohe Lebensqualität, etwa was die Freizeitangebote angeht. Und das Viertel bietet im stadtweiten Vergleich immer noch günstigere Mieten.

Hans Peter Schickel war von 2001 bis 2016 Stadtverordneter und Teil der SPD-Fraktion im Stadtparlament.
Sie sind seit Jahrzehnten Ortsbeiratsmitglied für die SPD und gestalten die Politik im Viertel mit. Welche politischen Erfolge fallen Ihnen auf Anhieb ein?
Die Erhaltung des Gemeindezentrums Georg-Buch-Haus war ganz wichtig für das Viertel. In den 80er Jahren schlug die Stadtteil-CDU vor, das Gebäude abzureißen und eine Grünfläche zu schaffen. Die Grundsanierung wurde dann durch den Verkauf der Louise-Schröder-Schule an das Land Hessen möglich.
Welche Projekte aus der jüngeren Vergangenheit begrüßen Sie?
Den Wellritzhof und die Offenlegung der Bäche, die ja noch anläuft, halte ich für einen echten Gewinn. Am Quartiersplatz wird das ja auch sehr gut von der Bevölkerung angenommen. Aber auch die Multifunktionshalle der Blücherschule: Wir haben jahrelang dafür gekämpft. Auch wenn ich von der äußeren Optik etwas enttäuscht bin.
Sie waren von 2001 bis 2016 auch Abgeordneter im Stadtparlament und haben sich sehr um die Wiesbadener Gedenkarbeit bemüht. Warum war Ihnen das so wichtig?
Die deutsch-jüdische Aussöhnung war schon im Elternhaus sehr wichtig. Die Rothschilds, die in der Nazizeit deportiert und umgebracht wurden, waren in der Wellritzstraße unsere Nachbarn und gute Freunde. Deshalb habe ich mich auch für das Mahnmal am Michelsberg eingesetzt, ich wollte auch unbedingt, dass die Stolpersteine nach Wiesbaden kommen.

Die deutsch-jüdische Aussöhnung war und ist Schickel ein besonderes Anliegen. Hier sieht man ihn gemeinsam mit Hubert Müller bei der Anbringung der Erinnerungsblätter durch die jüdische Gemeinde.
Was sehen Sie als ehemaliger integrationspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Stadtparlament als einen der größten Erfolge in diesem Bereich an?
Die Integrationsvereinbarung mit den muslimischen Gemeinden, da sind wir bundesweit Vorreiter. Die Integrationsarbeit war mir sehr wichtig, als ich 2001 anfing, war Integration noch ein neues Politikfeld. Wir haben uns in der Kohl-Ära zu lange dagegen gewehrt, uns einzugestehen, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft geworden sind.
Sie sind dieses Jahr nach den Kommunalwahlen aus dem Stadtparlament ausgeschieden – gegen Ihren Willen.
Ich hätte gerne noch eine Lebensschlussrunde im Parlament gehabt, das wurde mir aber vonseiten der Partei versagt. Das war nicht schön, aber da bin ich drüber hinweg. Dafür habe ich noch eine Schlussrunde im Ortsbeirat.
Welche Nachricht würden Sie gerne einmal in Mensch!Westend lesen?
(lacht) Ich würde mich freuen, wenn der Bach über den Sedanplatz plätschert. Schön wäre auch die Nachricht, dass der Elsässer Platz endlich umgestaltet ist, weshalb ich ja noch weitermache im Ortsbeirat. Und dass die Wellritzstraße in eine Fußgängerzone umgewandelt wird. Für die Gastronomie wäre das eine tolle Atmosphäre, wie in der Mauergasse, und für das Viertel ein ungeheurer Zugewinn. Das ist mein Traum.
Interview: Erdal Aslan
Fotos: Schickel, Windolf, Stotz, Aslan