Das Projekt „Schwimmen lernen für Flüchtlinge“ ist Gewinner des Integrationspreises der Landeshauptstadt Wiesbaden in diesem Jahr, wie die Stadt Wiesbaden mitteilt. Von den sieben zugelassenen Bewerbungen und Vorschlägen hat sich die Jury für dieses Projekt entschieden, das der Schwimmverein Delphin Wiesbaden e. V. aus der Walramstraße 16a (wir berichteten) in Kooperation mit dem „Be Welcome“-Projekt von Evim sowie dem Sozialdienst Asyl der Landeshauptstadt Wiesbaden durchführt. Seit Dezember 2016 haben Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund im Frei- und Hallenbad Kleinfeldchen sowie im Freizeitbad Mainzer Straße die Möglichkeit, schwimmen zu lernen und sogar Schwimmabzeichen zu erwerben.
„Kunst-Koffer“ an der türkisch-syrischen Grenze: Mit Kindern malen, um Krieg zu verarbeiten
Von Eva Kuschfeldt
Bunte Blumen, Häuser und immer wieder die syrische Flagge – manche Motive, die die Kinder im Waisenhaus an der türkisch-syrischen Grenze aufs Papier gebracht haben, werfen Fragen auf. Jona Jasper und Henny Riedl haben jedoch keine einzige gestellt: „Wenn ein Bild fertig war, haben wir uns dafür bedankt und es aufgehängt, ohne sie zu kommentieren oder zu bewerten“, erzählt Henny Riedl bei ihrem Vortrag kürzlich im Kinderzentrum Wellritzhof. Die beiden Kunst-Koffer-Trägerinnen, wie sich die Mitarbeiter des Vereins nennen, sind Ende des Jahres 2017 für zehn Tage in die türkische Stadt Gaziantep gereist. Sie halfen den Kindern, die Kriegserlebnisse durch freies Malen zu verarbeiten. In den kommenden Monaten wollen die beiden wieder hin, deshalb suchen sie jetzt nach Förderern.
„Warum wir hier sind“: Musikalische Lesung am 7. November im Kinderzentrum Wellritzhof in Wiesbaden
Von der ersten Liebe in Pakistan über die Hürden des Deutschlernens in der neuen Heimat und Kriegsgeschehnisse in Syrien bis zu einer Agentengeschichte erzählen die in Wiesbaden gelandeten Menschen aus Syrien, Somalia, Jemen, Albanien, Afghanistan und Äthiopien ihre Geschichten. Die Verfasser des Buches „Warum wir hier sind“ lesen am Mittwoch, 7. November, um 19 Uhr im Kinderzentrum Wellritzhof, Wellritzstraße 21, aus dieser Sammlung spannender und berührender Texte. Der Abend wird von Musikern aus unterschiedlichen Ländern begleitet. Der Eintritt ist frei. Das Buch „Warum wir hier sind – Reisegeschichten aus unserer Welt“ ist aus dem Projekt „Storytelling for Change“ entstanden. Das Projekt wurde 2017 von Kristine Tauch, Diplom-Pädagogin und Mitgründerin von MasterPeace in Wiesbaden, initiiert, mit dem sie Einheimische und Geflüchtete zusammengebracht hat.
„Migrantenstadl“ auf der Wiesbaden Biennale: Wartburg wird postmigrantische Mehrzweckhalle

„Integriert euch nicht!“: Das Banner hängt an der Wartburg in der Schwalbacher Straße 51, wo der „Migrantenstadl“ stattfindet.
Auf der Wiesbaden Biennale eröffnet Tunay Önder vom 23. August bis 2. September den „Migrantenstadl“ in Form einer postmigrantischen Mehrzweckhalle (lesen Sie auch ihren Gastbeitrag „Kanakisiert euch“). Elf Tage besetzt die Münchner Autorin und Bloggerin zusammen mit Komplizen, Gästen und lokalen Akteuren die Wartburg in der Schwalbacher Straße 51: „Ein Umschlagplatz von und für radikal unterhaltsame Parallelgesellschaften aus Kanak-Stars, Textterroristen und Dadaisten, Filmfreaks, Rap-Ladies, Boxern. Hier trifft Westend auf Diskurs, Comedy auf Islam und Boxring auf Teesalon“, heißt es in der Ankündigung. Jeden Tag: 15 Uhr: Çay & Gözleme, 17 Uhr: Sinema Spezial, 19 Uhr: Parallelgesellschaften, 21 Uhr: Prime Time mit Kabarett, Musik und Boxen.
Seit mehreren Jahren betreibt Tunay Önder zusammen mit Imad Mustafa und anderen Komplizen das Blogprojekt „Migrantenstadl“, in dem es um die Perspektive der Migration, von Migranten, Migrantenkindern, Mehrheimischen „und anderen Marginalisierten“ geht. Im Dunstkreis von Gastarbeiterkindern entstanden, versucht der „Migrantenstadl“ mit provokativen Texten, dadaistischem Humor, sehr oft seriös und oft genug am Rande des Wahnsinns zu umschreiben, wie die Gesellschaft aus postmigrantischer Perspektive aussieht und aussehen sollte.
- Herrlich prollig: Kabarettistin Idil Baydar als Kunstfigur „Jilet Ayse“, sozusagen die türkischstämmige Cindy von Marzahn – am 24. August um 21 Uhr in der Wartburg. Foto: dpa
- Youtube-Stars: Mindestens ein Mitglied der „Datteltäter“, die die Welt der Muslime mit Humor darstellen, kommt am 29. August um 21 Uhr in die Wartburg. Foto: Bojan Novic
Tägliches Programm vom 23. August bis 2. September
PRIME TIME, 21 UHR:
Täglich brachiale Unterhaltung vom Feinsten: mit der Wiesbadener Aktivistin Emine Aslan und ihrer „Donnerstagspredigt“ (23.8.), den Spoken-Word-Künstlerinnen „Hübsch-Sistaz“ und ihrem feministischen Freestyle (28.8), der Comedian Idil Baydar und ihrer herrlich prolligen Kunstfigur „Jilet Ayse“ (24.8.), der Lesung von Mutlu Ergün-Hamaz aus seinem Buch „Die geheimen Tagebücher des Sesperado – Kara günlük“ (30.8.), der Musik-Lecture „Songs of Gastarbeiter“ (26.8.) und (mindestens) einem Datteltäter aus der Youtube-Comedy-Reihe (29.8.). Konzerte gibt es vom Rapperduo EsRAP (25.8.), vom libanesischen Künstler Rabih Mroué (27.8.) mit einer Jam-Session und von Rap-Künstlerin Ebow (31.8.). Und nicht verpassen: die Boxgala (1.9.) mit Boxkämpfen der Stars des „Golden Boxing GYM Wiesbaden“. Der Eintritt kostet jeweils 15 Euro, ermäßigt 8 Euro.
TISCHGESPRÄCHE „PARALLELGESELLSCHAFTEN“, 19 UHR:
Ein riesiger Runder Tisch, geladene Gäste und spontane Besucher – das sind die täglichen Parallelgesellschaften des „Migrantenstadls“. Tischgespräche unerwarteter Begegnungen, hitziger Debatten und kleiner „Lectures“. Hier reden alle mit. Ob „Kanakisiert Euch“ (24.8.), „German Angst“ (31.8.), „Postmigrantische Schlammschlacht“ (27.8.) oder der Westend Talk (29.8.) – es wird kein Blatt vor den Mund genommen. Der Eintritt ist jeweils frei.
- Die Aktivistin Emine Aslan, gebürtige Wiesbadenerin, hält ihre „Donnerstagspredigt“ am 23. August um 21 Uhr in der Wartburg.
- Es wird auch sportlich: Die Boxgala mit Boxkämpfen der Stars des „Golden Boxing GYM Wiesbaden“ findet am 1. September um 21 Uhr in der Wartburg statt.
SINEMA SPEZIAL, 17 UHR:
Der „Migrantenstadl“ verwandelt sich in einen Kinosaal: von der preisgekrönten „Remake Remix Rip-Off“-Dokumentation (27.8.) über filmische Kopierpraxis und das türkische Pop-Kino über „Muezzin“ (23.8.), einem Einblick in den harten Wettbewerb der türkischen Gebetsrufer, bis zu „Der Kuaför aus der Keupstraße“ (30.8.) – einem filmischen Zeugnis des Kölner Nagelbombenanschlages des NSU. Der Eintritt ist jeweils frei.
ÇAY & GÖZLEME, 15 UHR:
Bei Çay & Gözleme – Tee & Gebäck, frisch zubereitet von türkischen Spezialisten, lädt der „Migrantenstadl“ jeden Nachmittag zum Chill-Out mit Backgammon, Mokka und Shisha. Everybody welcome! Der Eintritt ist frei.
Das komplette Programm gibt es unter www.wiesbaden-biennale.eu.
„Kanakisiert euch!“ – Gastautorin Tunay Önder plädiert für eine postmigrantische Perspektive
Im Rahmen des Festivals „Wiesbaden Biennale“ wird die Bloggerin, Autorin und Aktivistin Tunay Önder ab dem 23. August elf Tage lang einen sogenannten Migrantenstadl in der Wartburg veranstalten. In ihrem Gastbeitrag schreibt sie aus der Sicht eines Gastarbeiterkindes, welcher Perspektivwechsel nötig ist in einer postmigrantischen Gesellschaft.
Von Tunay Önder
Als Kind von Gastarbeitern in Deutschland hängt der Wunsch, die Gesellschaft neu zu erfinden, mit einer ganz spezifischen Erfahrung zusammen: im eigenen Geburtsland und Lebensraum den Ausländer-Status zugewiesen zu bekommen. Die damit zusammenhängenden Lebensumstände und -bedingungen erscheinen einem in den unbewussten Jahren der Sozialisation als die ganz normale Ordnung der Welt, die es hinzunehmen und zu verinnerlichen gilt. Seien es nun prekäre Wohn- und Arbeitsverhältnisse der Eltern oder rassistische An- und Zurechtweisungen, mit denen man in der Schule, auf der Straße, in Behörden und Medien konfrontiert wird.
SV Delphin bietet Schwimmkurse für Flüchtlinge in Wiesbaden an – Es gibt noch freie Plätze
Für die gebürtige Syrerin Julie Musleh ist es heute ein ganz besonderer Tag im Hallenbad Kleinfeldchen: Ihr achtjähriger Sohn Rebal legt mit fünf anderen Jungs eine Schwimmabzeichen-Prüfung ab. Das Besondere: Die Jugendlichen kommen alle aus Flüchtlingsfamilien.
Wiesbadener Integrationspreis 2018 geht an Projekt „Angekommen – Perspektiven für Geflüchtete“
Gewinner des diesjährigen Integrationspreises der Landeshauptstadt Wiesbaden ist das Team der ehrenamtlich Engagierten im Projekt „Angekommen – Perspektiven für Geflüchtete“, wie die Stadt mitteilt. Von den 16 zugelassenen Bewerbungen und Vorschlägen hat sich die Jury für das Projekt in Trägerschaft des Freiwilligenzentrums Wiesbaden entschieden; es wird mit fast 100 ehrenamtlich engagierten Wiesbadenerinnen und Wiesbadenern seit Juni 2014 durchgeführt.
Das Projekt „Angekommen – Perspektiven für Geflüchtete“ umfasst ein weites Spektrum unterschiedlicher Integrationsangebote. Neben Sprachförderangeboten – Anfänger- und Alphabetisierungskurse, Kurse für alleinerziehende Mütter, Fortgeschrittenenkurse – werden durch das Projekt Räume zur Begegnung und zum interkulturellen Austausch zwischen den ehrenamtlich Engagierten und den Projektteilnehmenden geschaffen. Durch Unterstützung im unmittelbaren Lebensumfeld und das Kennenlernen von Freizeit-, Kultur- und Sportangeboten in der Stadt wird den Projektteilnehmenden dabei geholfen, in Wiesbaden anzukommen und sich in ihrer neuen Heimat zu orientieren.
Endlich angekommen? – Experten im Interview über Flüchtlingssituation in Wiesbaden
Am 18. Dezember ist der internationale Tag der Migranten. Zwei Jahre sind seit dem Zustrom von hunderttausenden Flüchtlingen nach Deutschland vergangen. Auch Wiesbaden stellte zahlreiche Turnhallen und Unterkünfte für die angekommenen Flüchtlinge zur Verfügung. Sebastian Hofmann ist Erziehungsleiter im Jugendhilfeverbund Antoniusheim und Sozialpädagoge. Christina Bopp ist Diplompsychologin und engagiert sich seit 2013 ehrenamtlich für Flüchtlinge, zur Zeit im Freiwilligenzentrum für das Projekt „Angekommen – Perspektiven für Flüchtlinge“. Anlässlich des Tages der Migranten sprechen sie im Interview gemeinsam über die Veränderungen, die seit Beginn der Flüchtlingswelle in Wiesbaden eingetreten sind, und geben einen Einblick in ihre Arbeit mit den Flüchtlingen.

Sebastian Hofmann und Christina Bopp wünschen sich mehr freiwillige Paten, die Flüchtlinge auf ihrem Weg begleiten.
PDF herunterladen: Neue Ausgabe von Mensch!Westend erschienen – Dezember 2017/Januar 2018
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Inhalt:
Der 18. Dezember ist der internationale Tag der Migranten. Zu diesem Anlass ziehen zwei Experten der Wiesbadener Flüchtlingsarbeit Bilanz: Sebastian Hofmann vom Jugendverbund Antoniusheim und Christina Bopp, die sich ehrenamtlich im Freiwilligenzentrum engagiert, sprechen über die aktuelle Situation der Flüchtlinge. Neben den Experten berichten auch zwei Flüchtlinge über ihre Erfahrungen mit der Flüchtlingsarbeit. Beide Seiten werden in der Titelgeschichte der neuen Ausgabe von Mensch!Westend (M!W) vorgestellt. Continue reading
Lebensretter im Mittelmeer: Westendler Marco van Marle hilft Flüchtlingen vor lybischer Küste – Unterwegs mit „Sea-Eye“
Es ist erst nur ein winziger Punkt auf dem Radar. Fast gar nicht zu erkennen. Marco van Marle blickt durch sein Fernglas. Der Westendler befindet sich auf der „Sea Eye“, ein Schiff der gleichnamigen Hilfsorganisation. Der 26 Meter lange ehemalige Fischkutter steuert langsam auf den Punkt zu. Schon bald kann van Marle Silhouetten erkennen, kurze Zeit später sind die ersten Köpfe der Menschen zu sehen. Viele Menschen. Rund 150 Flüchtlinge, die auf einem hoffnungslos überfüllten Schlauchboot orientierungslos auf dem Mittelmeer treiben, unweit der libyschen Küste.

Hoch konzentriert: Marco van Marle hält per Funk Kontakt zur Brücke des Schiffes „Sea Eye“. Im Hintergrund warten die bereits mit Schwimmwesten ausgestatteten Flüchtlinge auf weitere Hilfe. Der Westendler war zwei Wochen mit einer Hilfsorganisation im Mittelmeer unterwegs.
Sie haben nur einen Wunsch im Gepäck: das rettende italienische Ufer zu erreichen. Die Flüchtlinge, überwiegend aus Ostafrika, gehen mit der Aussicht auf ein besseres Leben ein hohes Risiko ein, um die 300 Kilometer weite Strecke bis zur Insel Lampedusa zurückzulegen. Alleine in diesem Jahr sind bisher laut Amnesty International über 2000 Flüchtlinge ertrunken oder gelten als vermisst. Das Mittelmeer ist ein großes Grab.
Hilfe für Flüchtlinge in Seenot
Die „Sea-Eye“ ist zusammen mit ihrem Schwesterschiff „Seefuchs“ im Mittelmeer unterwegs und hält Ausschau nach in Seenot geratenen Flüchtlingen. Sobald dieser winzige Punkt auf dem Radar auftaucht, steigt die Anspannung auf dem Schiff – jeder Handgriff muss nun sitzen. Das Beiboot wird mit einer vierköpfigen Besatzung zu Wasser gelassen und nähert sich den Flüchtlingen, um die Erstversorgung zu gewährleisten. Jeder ist hoch konzentriert und fokussiert sich auf die Aufgabe, die gleich auf ihn zukommen wird.

Hoffnungslos überfüllt: Nur eine falsche Bewegung reicht aus und das Schlauchboot würde kentern. Das wäre das Todesurteil für die Flüchtlinge, denn nur die wenigsten von ihnen können schwimmen. Foto: Bente Stachowske
Und dann geht alles ganz schnell. Das Beiboot umkreist das Schlauchboot, die Besatzung nimmt Kontakt mit den Flüchtlingen auf und stattet die Menschen mit Rettungswesten aus. „Wir müssen aufpassen, dass keine Panik auf dem Boot ausbricht“, sagt van Marle. Besonders beim Verteilen der Rettungswesten kann es hektisch werden. „Viele sorgen sich, keine Schutzweste zu bekommen. Manche sind sehr ängstlich, manche aber auch sehr erleichtert, dass sie nun in Sicherheit sind.“ Den Helfern wird oft vorgeworfen, dass sie durch ihr Einschreiten die Schlepper unterstützen. „Wir helfen nicht bei der Überfahrt, sondern achten darauf, dass niemand ertrinkt“, widerspricht van Marle (siehe auch Leitlinien von Sea-Eye).
„Ich wollte vor Ort helfen“
Der 33-Jährige war im Juni zwei Wochen lang mit der Hilfsorganisation vor der libyschen Küste unterwegs. Er beschäftigt sich schon lange mit dem Schicksal der Flüchtlinge. Irgendwann wurde ihm bewusst: „Ich will vor Ort helfen und nicht weiter von zu Hause aus zusehen.“ Auf „Sea-Eye“ stieß er zufällig. Eine andere Organisation suchte nur Maschinisten und Ärzte, „Sea-Eye“ benötigte auch „normales“ Personal. „Da habe ich mich einfach beworben. Darauf bekam ich einen Anruf, danach ging eigentlich alles recht schnell“, erinnert sich van Marle, der in Wiesbaden als Erzieher arbeitet und sich für den Einsatz Urlaub nahm.
- Die Flüchtlinge wollen die italienische Insel Lampedusa erreichen. Foto: Bente Stachowske
- Neue Aufgabe: Ein 26 Meter langer ehemaliger Fischkutter (Sea-Eye) liest in Seenot geratene Flüchtlinge auf. Foto: Bente Stachowske
- Auch Babys befinden sich unter den Flüchtlingen.Foto: Bente Stachowske
Nach Pfingsten flog er auf die Mittelmeerinsel Malta, wo die Organisation ihre Basis hat. Die Teilnehmer lernten dort in einer kurzen Einführung, wie man ein Boot zu Wasser lässt und wurden über das Leben und Arbeiten an Bord aufgeklärt. Eine von van Marles Aufgaben: Funken. Er hielt während der Einsätze Kontakt zu anderen Schiffen und informierte über die aktuelle Lage. „Aber eigentlich muss sich jeder ein wenig um alles kümmern und helfen, wo es gerade nötig ist“, erklärt van Marle. Die Crew besteht immer aus acht bis zehn Ehrenamtlern: ein Kapitän, ein Maschinist, ein Arzt und eben diese Allrounder, die für die Mission so wichtig sind. „Den ersten Tag auf See hat das Schiff ordentlich geschaukelt. Da bin ich richtig seekrank geworden“, sagt van Marle.
Er weiß aber, dass das nichts im Vergleich zu dem erschreckenden Zustand der Flüchtlinge ist. Sie haben weder zu Trinken noch zu Essen. Auch hochschwangere Frauen und Kinder befinden sich auf den notdürftig präparierten Booten, die von der libyschen Küste aus starten. „Schlepper verlangen für eine Überfahrt 500 bis 1000 US-Dollar in den Schlauchbooten, weitaus mehr in den vermeintlich sicheren Holzbooten“, berichtet der Wiesbadener. „Die Menschen arbeiten teilweise mehrere Jahre daraufhin, um sich die Flucht zu finanzieren. Die Männer auf Baustellen, manche Frauen sogar als Sexarbeiterinnen.“
Motoren werden geklaut
Für die Überfahrt verkaufen die Schlepper Schwimmwesten für 50 US-Dollar, die ihren Namen nicht verdient haben. „Da bekommt man in Deutschland für sieben Euro gebrauchte professionelle Westen“, weiß van Marle. Wer sich aufgrund der schlechten Bedingungen doch spontan gegen die Flucht entscheide, werde von den Schleppern kaltblütig erschossen. Keine Zeugen, keine Gefahr für die Kriminellen.
Zu allem Übel machen einige Schleuser Jagd auf die Motoren der Schlauchboote, um sie wieder zu verwenden. „Die manövrierunfähigen Boote driften dann im schlimmsten Fall wieder zurück an die libysche Küste“, erzählt van Marle. Zurück in die Hände der Schlepper. Und der Albtraum beginnt von vorne.
- Foto: Bente Stachowske
- Foto: Bente Stachowske
- Foto: Bente Stachowske
Wenn auch selten, erlebte der Wiesbadener einige kuriose Momente bei den insgesamt acht Rettungsaktionen im Laufe der Mission: „Als einer der Flüchtlinge mitbekommen hat, dass wir aus Deutschland kommen, stand er im Boot auf und fing zwischen allen Flüchtlingen an, die deutsche Hymne zu singen. Ich weiß bis heute nicht, woher er den Text und die Melodie kannte.“
Hinter van Marle liegen zwei sehr intensive Wochen. Er ist mittlerweile wieder zurück im Westend. Freunde und Verwandte sind froh, dass ihm bei dem lebensgefährlichen Einsatz nichts passiert ist. Eine Sache steht für Marco van Marle aber jetzt schon fest: „Nächstes Jahr bin ich wieder dabei!“
Text: Markus Grendel
Fotos: Bente Stachowske
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