Von Erdal Aslan
Es gibt wohl keine andere Frage im Türkischen, die häufiger bei der ersten Begegnung gestellt wird wie „Nerelisin?“. Also: „Woher, aus welcher Stadt, kommst du?“ Denn man könnte ja ein „Hemsehri“ (Hemmscheri ausgesprochen) sein, also jemand, der aus der gleichen Stadt stammt wie man selbst. Dass dafür ein eigenes Wort existiert, zeigt, welch hohen Stellenwert dieser Umstand in der Türkei hat: Es entsteht gleich eine besondere Verbindung zum Gegenüber. Daher ist es auch nicht überraschend, dass sich im Ladengeschäft der Wellritzstraße 47 (zuletzt eine Shisha-Bar) ein Verein voller „Hemsehris“ gebildet hat: „Avrupa Elaziglilar Dernegi“ – der „Verein der Menschen aus Elazig in Europa“.

„4000 Leute aus Elazig“
Elazig ist eine Provinz im Osten der Türkei mit knapp 600.000 Einwohnern. Viele ehemalige „Gastarbeiter“ sind aus dieser Provinz nach Deutschland gekommen. Von den 16.600 Türkeistämmigen (laut Statistikamt) in Wiesbaden „stammen heute mindestens 4000 aus Elazig“, schätzt Gürbüz Yildiz, der 2. Vorsitzende, und nennt gleich eine weitere Zahl. „70 Prozent der Dönerrestaurants in Wiesbaden werden von Menschen aus Elazig betrieben.“ Denn sie seien mutig, geschäfts- und risikofreudig. „Sie fackeln nicht lange, sobald sich eine Geschäftsidee ergibt“, erklärt er sich die vielen Selbständigen.
Wenn schon so viele aus der gleichen Provinz – viele sogar aus derselben Kleinstadt Palu in Elazig – hier wohnen, braucht es auch endlich einen Verein, dachten sich die Gründungsmitglieder. „Das soll der gemeinsame Treffpunkt werden, in dem wir uns austauschen, netzwerken und unsere Kultur weiterleben und weitergeben können“, erzählt Yildiz. Zum Beispiel sind Halay-Tanzkurse geplant. Ein Volkstanz, den man von jeder türkischen Hochzeit kennt: Man tanzt nebeneinander in Reihe, wobei sich die Menschen an der Hand halten oder sich an den Schultern fassen. Aber auch Deutschkurse und Saz-Unterricht sollen angeboten werden. Saz ist ein türkisches Saiteninstrument. Im Untergeschoss steht ein weiterer Raum für diese Aktivitäten zur Verfügung.

Hochburg der Kurden
Aber damit nicht genug: Der Verein, der sich durch Spenden und Mitgliederbeiträge finanziere, hat kürzlich den Fußballklub FC Wiesbaden 07 gekauft und am Ende des Namens noch eine „23“ hinzugefügt. Diese Zahl steht in der Türkei für das Kfz-Kennzeichen von Elazig. Zurzeit gebe es nur eine Herrenmannschaft, in Zukunft sollen Jugendteams entstehen. „Wir sind keine türkische ‚Teestube‘“, betont Yildiz den Unterschied, während er an seinem Tee nippt. Also „kein Männerverein“, es werde auch nicht geraucht und Karten gespielt, meint er.
Hin und wieder könnte jedoch Kurdisch gesprochen werden. Denn Elazig ist eine Hochburg der Kurden in der Türkei. Bei allen Diskussionen, die es immer wieder gebe: „Hier ist kein Platz für politische Propaganda. Hier werden nur die Fahnen von Deutschland und der Türkei aufgehängt“, unterstreicht Yildiz. Er ist selbst aktiv in der „Union of International Democrats“(UID) – eine Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Europa. „Hier an diesem Tisch sitzen aber Leute, die alle eine andere politische Meinung haben“, sagt einer aus der Runde, der mit Yildiz zusammensitzt und dem Gespräch lauscht. „Wir sind für alle offen, jeder ist willkommen, unsere berühmte Gastfreundschaft zu genießen.“

Keine Verbindung zu einer Moschee
Das gelte ebenso für Anhänger aller Religionen. Die meisten Menschen aus Elazig sind sunnitische Muslime. „Wir sind an keine Moschee angebunden“, betont Yildiz. „Auch nicht zur ‚Westend Moschee‘ in der Helenenstraße.“ Diese Moschee wird von vielen Kurdischstämmigen besucht – „Harput“-Betreiber Ismail Duran war dort früher Vorsitzender (Harput ist eine antike Stadt in Elazig). Sein älterer Bruder Ebubekir Duran ist wiederum der 1. Vorsitzende des Elazig-Vereins, er weilte beim Gesprächstermin in der Türkei.
Gemeinsam mit ihm und den bisher rund 50 Mitgliedern will Gürbüz Yildiz europaweit ein Netzwerk knüpfen: „Dieser Verein in der Wellritzstraße soll die Zentrale sein und andere Zweigstellen entstehen.“ Sodass viele „Hemsehris“ in Deutschland und Europa zusammenkommen, lautet der Wunsch.