
Von Erdal Aslan
Wenn man ein Drehbuch über das Westend schreiben würde, könnten Sahra und Salvo Caserta die Hauptrollen spielen. Denn ihre noch junge Geschichte ist so besonders wie normal für dieses internationale Stück Wiesbaden. Unzählige sogenannte Migrantenkinder wachsen zwischen der Heimatkultur ihrer Eltern und der deutschen Kultur, in die sie hineingeboren wurden, auf. Sahra und Salvo Caserta sind wie viele andere in diesem Stadtteil Wanderer zwischen den Welten.

Im Viertel aufgewachsen
Sahra ist im Westend als Tochter eines deutschen Hippies und einer Inderin aufgewachsen. Sie besuchte die Grundschule sowie das Gymnasium im Viertel und lernte „den respektvollen Umgang verschiedener Kulturen untereinander kennen und lieben“, wie die 32-jährige Flugbegleiterin sagt. „Für mich war es genau so selbstverständlich Weihnachten wie auch Diwali – das indische Lichterfest – zu feiern.“ Sie fühlt sich deutsch, schätzt aber ihre Wurzeln und die Werte, die ihre Mutter ihr mitgegeben hat.
Salvo (Kurzform für Salvatore) ist Sohn italienischer Einwanderer aus Neapel. Sein Vater betreibt die Traditionspizzeria „Luigi“ in der Dotzheimer Straße. „Ich fühle mich schon als Italiener, ohne es wirklich begründen zu können, es ist eine emotionale Sache“, sagt der Inhaber des Friseursalons „Capelli da Salvo“ am Dürerplatz. Er leugnet aber ganz und gar nicht seine deutschen Charakterzüge. Nicht umsonst wird der 37-Jährige wegen seiner Pünktlichkeitsliebe augenzwinkernd auch mal „Gerd“ genannt. „Man ist nie das eine oder andere, es gibt kein Schwarz oder Weiß.“
Liebesgeschichte beginnt auf Friseurstuhl
Die gemeinsame Geschichte der beiden begann im Jahr 2010 auf einem Friseurstuhl – natürlich im Westend. Er arbeitete im ehemaligen „Schnittpunkt“ (heute „Der grüne Salon“), sie war Kundin. Sie verstanden sich auf Anhieb, wurden beste Kumpel. Aus der Freundschaft entwickelte sich nach einiger Zeit Liebe, die 2014 ihren (ersten) Höhepunkt fand: Sie heirateten standesamtlich im Kloster Eberbach in Eltville. Schon bald entstand die Idee, das Ehegelübde alle fünf Jahre zu wiederholen.

Als sich das fünfte Ehejahr der mittlerweile zweifachen Eltern so langsam näherte, war es Salvos Vorschlag, in Indien erneut zu heiraten. „Ihre Familie hat mich so herzlich aufgenommen, ich habe zu Indien und der Kultur des Landes eine ganz besondere Beziehung aufgebaut“, sagt er heute. Im Jahr 2017 haben die beiden auch zusammen in Indien Urlaub gemacht. „Das Land ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Uns hatte sowieso eine spirituelle Trauung gefehlt. Daher war Indien die beste Wahl“, betont er. Sahra hätte sich auch eine Hochzeit in Italien vorstellen können. „Doch es war insgeheim auch mein Traum, in Indien zu heiraten“, sagt sie. Zurück zu den Wurzeln, den Traditionen ihrer Vorfahren. Sahra hat nach dem Abitur sogar für einige Monate bei ihrer Tante in Neu-Delhi gelebt. „Seitdem spüre ich erst recht eine tiefe Verbundenheit zum Land, zu meinen Verwandten.“
Eineinhalb Jahre geplant für „Bollywood-Hochzeit“
Die Entscheidung für eine „Bollywood-Hochzeit“ war also gefallen – den Casertas blieben eineinhalb Jahre Zeit für die Vorbereitungen. Dekoration, Location, Brautkleid, Menü: Zahlreiche Whatsapp-Gruppen gründeten sich, für jedes Themengebiet eine eigene. Gemeinsam mit der ganzen Verwandtschaft planten die beiden monatelang über 6000 Kilometer Entfernung ihr Hochzeitsfest. „Mein Beruf ermöglichte es mir, regelmäßig nach Neu-Delhi zu fliegen, um zum Beispiel eine geeignete Location zu finden oder mein Hochzeitskleid zu kaufen“, erzählt Sahra.
Im Oktober dieses Jahres war es dann so weit: Die Hochzeit konnte in einem der modernsten Viertel Neu-Delhis, in einem Hotel unweit vom Flughafen, stattfinden. Aus Deutschland waren 25 Gäste mitgeflogen. Salvos Eltern konnten aus gesundheitlichen Gründen den siebenstündigen Flug nicht antreten, „deshalb waren die Freunde meine Stellvertreter-Familie dort“, sagt Salvo. Gewöhnlich feiert man Hochzeiten in Indien mehr als eine Woche lang und begeht viele kleine und große Zeremonien. „Wir haben alles auf zwei Tage komprimiert, wegen der Schulferien und weil unsere Gäste aus Deutschland nicht so lange bleiben konnten. Unsere Hochzeit bestand aus den Basics“, berichtet Sahra. Das üppige Buffet mit indischen Spezialitäten hätte ihren Beschreibungen nach aber auch für eine ganze Woche gereicht.

Begonnen hat die farbenprächtige Traumhochzeit mit der „Haldi“-Zeremonie, bei der das Brautpaar auf die Hochzeit vorbereitet wird. Beide werden mit einer Kurkuma-Paste im Gesicht sowie an Händen und Füßen eingerieben. Das dient der rituellen Reinigung und soll die bösen Geister vertreiben. „Das Gewürz Kurkuma hat ja auch eine heilende Wirkung“, erklärt Salvo. Für diese Zeremonie haben alle Gäste weiße Gewänder mit einem gelb-orangefarbenen Schal getragen – die Farbe symbolisiert die Kurkuma. „Als ich die Treppe im Hotel herunterstieg und meine Familie und Freunde zum ersten Mal gemeinsam in diesen Gewändern gesehen habe, war das ein magischer Moment für mich“, erzählt Sahra.
Frauen machen sich über Männer lustig
Auf die „Haldi“-Zeremonie folgte der „Ladies’ Sangeet“. Die Frauen der Familie sitzen dabei zusammen und singen Lieder, in denen sie sich über die Männer der Familie – einschließlich dem Bräutigam – lustig machen. „Eine der Frauen sang zum Beispiel davon, ihren Ehemann verkaufen zu wollen, also ihn loszuwerden“, sagt Sahra. Den Rhythmus gab ihre Mutter Vandana auf einer Trommel vor. Salvo ließ das gerne über sich ergehen, genoss sichtlich jede noch so kleinste Zeremonie, wie man in dem Hochzeitsvideo sehen kann. Nur als Sahras Cousinen seine Schuhe versteckten und Geld für die Herausgabe verlangten (auch ein traditionelles Spiel), musste er Handelsgeschick beweisen. „Wir konnten aber den Betrag gut runterfeilschen“, sagt er grinsend.

Am zweiten Tag der Hochzeit begann die eigentliche Trauung („Fera“) unter Anleitung eines Priesters, der das Paar mit Gebeten in Sanskrit segnete. Nach jedem Gebet haben die beiden etwas in ein Feuer geworfen, um das sie herum saßen. Zum Beispiel Puffreis, die Opferung des Nahrungsmittels soll Wohlstand in der Zukunft bringen. Währenddessen sollten sie sich Loyalität, Treue und Liebe versprechen. Salvo hat ihr sieben Versprechen geben müssen – unter anderem, dass er finanziell für sie sorgen werde. Bei Sahra waren es vier Versprechen: zum Beispiel, dass sie sich nicht die ganze Zeit bei ihrer Mutter aufhält, während er arbeitet. „Da hat meine Mutter ‚Auf gar keinen Fall‘ vor sich hingemurmelt“, erzählt Sahra.
Erste gemeinsame Hürde muss gemeistert werden

Anschließend wurden die beiden aneinandergebunden. Als Symbol für die erste Hürde, die sie gemeinsam überwinden müssen, sollte das Paar sieben Mal die Feuerstelle umkreisen – sieben ist eine heilige Zahl im Hinduismus. Dabei mussten Sahra und Salvo einen ihnen in den Weg gelegten Stein mit dem Fuß berühren. Zunächst lief er vorne weg, danach sie. Beide mussten sich jeweils dem Tempo des anderen anpassen. Diese Hürde haben sie erfolgreich gemeistert. „Somit durften wir als frisch getrautes Ehepaar mit dem Segen der Hindu-Götter und den guten Wünschen unserer Familie und Freunde die zweite Partynacht eröffnen“, erzählt Sahra. Als die typisch indischen Rhythmen (wie auch nach dem ersten Tag) begannen zu erklingen, „konnten alle, also auch unsere deutschen Gäste, auf einmal perfekt indisch tanzen“, berichtet das Paar lachend.
Mittendrin die Kinder
Immer mittendrin die beiden Kinder der Casertas. Sie fühlten sich pudelwohl in Indien und bewegten sich ganz natürlich in dieser Welt, wie die Bilder und Videos beweisen. Empfinden sich die Kinder eigentlich mehr indisch, deutsch oder italienisch? „Sie sind wohl alles zusammen. Sie dürfen später auch selbst entscheiden, ob sie Hindus, Christen oder etwas anderes werden wollen. Wir haben sie deshalb nicht taufen lassen“, erklärt Salvo. „Wir versuchen, ihnen alles mitzugeben, was wir geben können. Die Grundwerte sind in allen Religionen und Kulturen eigentlich die gleichen.“
Sahra und Salvo scheinen überglücklich und immer noch berührt, wenn sie in ihrem Wohnzimmer im Westend von ihrem Fest voller Emotionen, Farben und Eindrücke in Neu-Delhi erzählen. „Wahrscheinlich werden wir in fünf Jahren nicht wieder so groß feiern. Aber unser Bund fürs Leben ist in Indien nochmal auf eine ganz besondere Weise gestärkt worden“, sagt Salvo. Vor allem auch, weil es an einem Ort geschehen ist, der ein Teil ihrer Familiengeschichte ist. „Die Gewissheit, Verwandte zu haben, die ich zwar leider selten sehe, die mich aber bedingungslos lieben, lässt die geografische Distanz ganz unwichtig erscheinen“, sagt Sahra.
Zweite, große Familie
Eine zweite, große Familie in einer anderen Ecke dieser Welt – auch das können viele Migrantenkinder sehr gut nachempfinden, wenn sie in die Herkunftsländer ihrer Eltern reisen und die Herzlichkeit ihrer Verwandten erfahren. Sahra und Salvo Casertas Geschichte erzählt nicht nur von ihrem persönlichen Glück. Sie erzählt auch vom Westend. Einem Ort, in dem verschiedene Kulturen ganz selbstverständlich ineinanderfließen.