Ouarda, Selma und Melek sind drei Wiesbadener Musliminnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eines haben sie alle drei gemeinsam: Sie werden alltäglich wegen ihres Kopftuchs diskriminiert. Als deutsche Staatsbürgerinnen wollen sie mit ihren Kopftüchern als Teil von Deutschland akzeptiert und verstanden werden. Hier berichten sie von ihren Erfahrungen.

Ouarda wünscht sich mehr Offenheit in der Berufswelt für Musliminnen.
„Ich werde auf mein Kopftuch reduziert“
Ouarda berät als Sozialpädagogin Migrantinnen. Sie wünscht sich mehr Offenheit in der Berufswelt für Musliminnen.
Für ihren ersten Job nach dem Studium zur Sozialpädagogin hat Ouarda ihr Kopftuch abgelegt – aus Angst, den Arbeitsplatz nicht zu bekommen. „Es war schrecklich. Ich war nicht authentisch“, sagt die 33-Jährige heute. Um einen guten Eindruck auf der Arbeit zu hinterlassen, hat sie mit der Heimlichtuerei begonnen. „Auf dem Weg zur Arbeit trug ich mein Kopftuch. Im Auto zog ich es aber aus. Mein Arbeitgeber und meine Kollegen wussten nicht, dass ich Kopftuchträgerin bin. Nach Feierabend habe ich das Kopftuch in meinem Auto wieder angelegt“, erzählt die gebürtige Wiesbadenerin über ihre innere Zerrissenheit.
Das Dilemma, in dem sie steckte, war kaum auszuhalten, wie die Deutsche mit marokkanischen Wurzeln sagt. „Ich hatte das Versteckspiel und den psychischen Druck satt.“ Kurzerhand entschied sie sich für einen Jobwechsel. Heute ist sie glücklich mit ihrer beruflichen Situation. Als Sozialpädagogin bei dem Projekt „Uyum“ in der Blücherstraße berät sie Frauen mit Migrationshintergrund bezüglich ihrer Berufswahl. „Mein neuer Arbeitgeber hatte keine Einwände gegen das Kopftuch. Das macht mich unheimlich glücklich“, erzählt die Mutter zweier Kinder. Das Kopftuch helfe ihr auf der Arbeit, sogar einen besseren Zugang zu den Teilnehmerinnen ihrer Kurse zu bekommen. „Durch das Kopftuch erwecke ich Vertrauen bei Frauen mit Migrationshintergrund. Ich bin ihnen auf Anhieb sympathisch.“
„Gehen Sie zurück in Ihr Land!“
Wohlwollen erweckt ihr Kopftuch aber nicht in jeder Lebenslage. Besonders im Supermarkt und im Wartezimmer einer Arztpraxis wurde sie schon häufig diskriminiert. Den Grund dafür sieht sie in ihrem Kopftuch. „Ich werde auf mein Kopftuch reduziert. Die Menschen, die mich diskriminieren, gehen davon aus, dass ich sie nicht verstehe und die Beleidigungen deshalb akzeptiere“, berichtet sie von ihren Alltagserlebnissen. Beleidigungen, wie „Gehen Sie zurück in Ihr Land!“ und „Sie sind hier nur Gast!“, sind dabei keine Seltenheit. Eine Frau im Supermarkt wurde dem damals vierjährigen Sohn von Ouarda gegenüber sogar handgreiflich. „Sie schlug ihm auf die Hand, weil er ein verpacktes Lebensmittel auf dem Laufband berührte, das sie kaufen wollte.“ Nachdem die Kopftuchträgerin ihren Sohn verbal verteidigte, wurde sie als „Scheiß-Ausländerin“ bezeichnet. „Hätte ich kein Kopftuch getragen, wäre meinem Sohn das nicht passiert“, sagt sie rückblickend.
Dennoch kommt es für die deutsche Staatsbürgerin nicht infrage, ihr Kopftuch wieder abzulegen, auch wenn sie sich erst spät für das Kopftuchtragen entschieden hat. „Ich habe immer gewusst, dass ich Kopftuch tragen will. Aber ich habe es aufgeschoben, weil ich auf den richtigen Zeitpunkt warten wollte“, erklärt sie. Ihr Abitur und ihr Studium beendete sie als gläubige Muslimin ohne Kopftuch. Nachdem ihre Mutter eine schwere Krankheit überstanden hatte, entschied sich die damals 26-Jährige für das Kopftuch. Heute gehört es zu ihr und vervollständigt ihren Glauben: „Mein Kopftuch bedeutet für mich Sicherheit und Identität. Nur mit meinem Kopftuch bin ich authentisch.“
Für die Zukunft wünscht sie sich mehr Offenheit, insbesondere in der Berufswelt. „Bewerbungen von Frauen mit Kopftuch sollten nicht gleich abgelehnt werden. Die Persönlichkeit ist viel wichtiger als das Äußere.“
Text & Foto: Adriana La Marca

„Mein Kopftuch steht für Menschlichkeit“, sagt Melek.
„Ich fühle mich wie eine Außenseiterin“
Melek ist in Wiesbaden geboren. Sie möchte als Mensch wahrgenommen werden, nicht als Kopftuchträgerin.
Höflichkeit und Respekt gehören für Melek zu ihrem Glauben. Das Kopftuch, das sie seit ihrem elften Lebensjahr freiwillig trägt, symbolisiert für sie diese Eigenschaften und gehört fest zu ihrem Glauben. „Kopftuchtragen bedeutet für mich, ein Vorbild zu sein. Mein Kopftuch steht für Menschlichkeit“, sagt die 30-jährige Muslimin. Den respektvollen Umgang miteinander vermisst sie in Deutschland. Denn angerempelt, geschubst oder beleidigt zu werden, gehört für sie zum Alltag.
Über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung könne sie ein ganzes Buch füllen. Ihre wohl „schrecklichste“ Erfahrung hat die junge Frau mit türkischen Wurzeln bei einem Einkauf im Supermarkt gemacht. „Ich habe mit meinem Einkaufswagen versehentlich den Gang versperrt. Eine ältere Dame stieß meinen Wagen weg, fing an mich wegen meines Kopftuchs zu beleidigen und schlug mir mit der Faust auf den Oberarm.“ Diese Erlebnisse rufen negative Gefühle in ihr hervor: „Ich fühle mich wie eine Außenseiterin“, sagt sie. Das zu akzeptieren, fällt ihr schwer: „Ich bin ich, mit oder ohne Kopftuch. Meine Persönlichkeit ist keine andere, nur weil ich ein Kopftuch trage“, erklärt sie.
„Nur als Putzfrauen akzeptiert“
Auch die Jobsuche erwies sich für die Muslimin am Anfang als schwierig. „Ich habe lange Zeit keinen Ausbildungsplatz als Erzieherin gefunden, weil ich ein Kopftuch trage“, erzählt Melek, die regelmäßig die Süleymaniye Moschee in der Dotzheimer Straße besucht. In den vergangenen acht Jahren hat sie mittlerweile in verschiedenen Einrichtungen als Kindergärtnerin gearbeitet. Die Anfänge waren nicht immer leicht: „Manche Eltern haben mich nicht begrüßt. Irgendwann fingen die Kinder an, zu Hause von mir zu erzählen. Die Eltern haben mit der Zeit gelernt, mich durch die Augen ihrer Kinder zu sehen und zu akzeptieren.“
Ihrem Gefühl nach sei die Integration der muslimischen Frau in Deutschland nicht gewollt: „Die Menschen verlangen, dass wir uns integrieren. Sie akzeptieren uns aber nur als integrierte Putzfrauen.“ Sich von ihrem Kopftuch zu trennen, kommt für die junge Frau nicht infrage. „Mein Kopftuch ist mein Ein und Alles. Ich liebe mein Kopftuch und meinen Glauben. Eine Abneigung dagegen entwickelt eine Frau nur dann, wenn sie zum Kopftuchtragen gezwungen wird.“
Text: Adriana La Marca
Foto: Erdal Aslan

Selma trägt seit ihrem 37. Lebensjahr Kopftuch.
Geschlagen vom Lebenspartner
Selma trägt erst seit 2012 Kopftuch. Heute kann sie sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen.
Selma ist 37 Jahre alt, als sie sich freiwillig dazu entschließt, Kopftuch zu tragen. „Mein Kopftuch schützt mich. Ohne fühle ich mich nackt“, sagt die heute 43-Jährige, die ein Leben in Deutschland mit und ohne Kopftuch kennt. Sie trägt es heute aus religiöser Überzeugung und nennt das Kopftuch ihre Krone, weil sie es mit Stolz trägt. Eine Operation, nach der sie das Kopftuch aufzog, um sich vor der Sonne zu schützen und eine Reise nach Bosnien während des Fastenmonats Ramadan haben zu ihrer Rückbesinnung auf den Glauben geführt. „Ich bin mit dem Islam großgeworden. In Deutschland habe ich meinen Glauben aber zu Anfang aus den Augen verloren“, erklärt die alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die regelmäßig eine Moschee in der Bertramstraße besucht.
Mit dem Entschluss, sich auch äußerlich zu ihrem Glauben zu bekennen, fing für die gelernte Altenpflegerin eine schwere Zeit an. „Für die größte Demütigung sorgte mein damaliger Lebensgefährte, der kein Muslim ist. Er hat mich wegen meines Kopftuchs geschlagen“, berichtet sie. Diskriminierungen habe sie aber vor allem auch in der Arbeitswelt erfahren. „Als ich mich bei einem ambulanten Pflegedienst persönlich vorgestellt habe, wurde ich aufgrund meines Kopftuchs abgelehnt, obwohl ich zuvor am Telefon eine Zusage bekam“, erzählt die gläubige Muslimin. Ein anderer Arbeitgeber schlug ihr vor, anstelle des Kopftuchs eine Mütze aufzuziehen. „Dann wäre ich eingestellt worden“, sagt sie.
Töchter können selbst entscheiden
Wieso das Kopftuch von vielen Arbeitgebern nicht akzeptiert wird, kann sie nicht verstehen. „Muslimische Frauen haben nicht gestört, als sie noch Toiletten geputzt haben. Erst als sie anfingen, sich zu bilden, wurden sie zum Störfaktor.“ Momentan ist Selma glücklich mit ihrer beruflichen Situation. Ihr Ziel: „Ich möchte einen ambulanten Pflegedienst leiten und jedem zeigen, dass das auch mit einem Kopftuch möglich ist.“
Ein Leben ohne Kopftuch kann sie sich nicht mehr vorstellen. „Einer Frau das Kopftuch zu verbieten, ist wie eine Nonne zum Heiraten zu zwingen“, beschreibt sie die Bindung zu ihrem Kopftuch.Ihre Kinder, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, erzieht sie frei. „Sie wissen viel über den Islam und besuchen regelmäßig die Moschee. Wenn meine Töchter eines Tages Kopftuch tragen wollen, unterstütze ich sie. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung.“
Text & Foto: Adriana La Marca
Info: Eine Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit hat den 1. Juli zum Tag gegen antimuslimischem Rassismus ausgerufen. Der Zusammenschluss besteht aus 35 Organisationen unter dem Namen „Claim“.
Hintergrund ist der Tod der Apothekerin Marwa el-Sherbini, die vor neun Jahren im Landgericht Dresden von einem isamfeindlichen Angeklagten mit mehreren Messerstichen getötet wurde. Bundesweit gibt es Veranstaltungen zum Thema Rassismus.